Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Überraschungszeugen, den wir nicht finden konnten. Diesen Typen aus der Entzugsklinik.«
»Edward Roman«, sagte Bosch.
»Richtig. Roman. Das wären drei, und der vierte könnte sein Ermittler sein oder vielleicht auch ein Meth-Experte, aber von da ist wahrscheinlich nur heiße Luft zu erwarten. Einen vierten Zeugen gibt es nicht. Vieles von dem, was Royce macht, dient lediglich der Irreführung. Er will mit allen Mitteln verhindern, dass irgendjemand den Blick auf das Wesentliche richtet. Wir sollen uns mit weiß Gott was allem beschäftigen, bloß nicht mit der Wahrheit.«
»Und was ist mit Roman?«, fragte ich. »Wenn wir ihn schon nicht ausfindig machen konnten – wissen wir wenigstens ungefähr, was er aussagen wird?«
»Leider nein«, sagte Maggie. »Ich habe mit Sarah immer wieder über diesen Punkt gesprochen, aber sie hat keine Ahnung, was er erzählen könnte. Sie meinte auch, sie könnte sich nicht erinnern, jemals über ihre Schwester mit ihm gesprochen zu haben.«
»Laut der Zusammenfassung, die uns Royce mit der Offenlegungsakte hat zukommen lassen, wird er etwas zu irgendwelchen ›Enthüllungen‹ Sarahs über ihre Kindheit aussagen«, meinte Bosch. »Weiter hat er sich dazu nicht geäußert, und selbstverständlich behauptet Royce, sich bei dem Gespräch mit ihm keine Notizen gemacht zu haben.«
»Na schön«, sagte ich, »wir haben sein Vorstrafenregister, und wir wissen, mit was für einer Type wir es hier zu tun haben. Er wird alles erzählen, was Royce will. So einfach ist das. Alles, was der Verteidigung nützt. Deshalb sollten wir uns weniger Gedanken darüber machen, was er sagen wird – denn dass es Lügen sein werden, wissen wir jetzt schon –, wir sollten uns lieber überlegen, wie wir ihn im Zeugenstand demontieren können. Haben wir etwas, was uns dabei helfen könnte?«
Maggie und ich sahen Bosch erwartungsvoll an, und er sollte uns nicht enttäuschen.
»Ich glaube, ich habe da etwas. Ich werde mich heute Abend mit jemandem treffen. Wenn alles gutgeht, haben wir es morgen früh. Dann sage ich euch Bescheid.«
An diesem Punkt kochte meine Frustration über Boschs Ermittlungsmethoden und seinen Kommunikationsstil über.
»Langsam reicht’s mir aber wirklich, Harry. Wir sind hier ein Team. Und diese Geheimagentennummer ist nicht gerade hilfreich für Maggie und mich, wenn wir im Gerichtssaal jeden Tag die Köpfe hinhalten.«
Bosch blickte auf seinen Teller hinab, und ich sah, wie es in ihm arbeitete. Sein Gesicht wurde so dunkel wie die Soße.
»
Ihr
haltet die Köpfe hin?«, knurrte er. »Ich habe aber nirgendwo in den Observierungsprotokollen stehen sehen, dass sich Jessup vor deinem Haus auf die Lauer gelegt hat, Haller. Erzähl mir also nichts von wegen, dass du den Kopf hinhältst. Dein Job findet im Gerichtssaal statt, wo alles schön überschaubar und unter Kontrolle ist, und manchmal gewinnst du, und manchmal verlierst du. Aber egal, wie die Sache ausgeht, am nächsten Tag tanzt du wieder im Gericht an. Wenn du wirklich den Kopf hinhalten willst, dann versuch mal, da draußen zu arbeiten.«
Er deutete durch das Fenster auf die Lichter der Stadt.
»Jetzt regt euch mal wieder ab«, ging Maggie rasch dazwischen. »Harry, was ist passiert? Ist Jessup noch mal im Woodrow Wilson aufgetaucht? Vielleicht sollten wir einfach die Haftbefreiung rückgängig machen und ihn wieder in eine Zelle sperren.«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Vor meinem Haus hat er sich seitdem nicht noch mal blicken lassen. Und er war auch schon über eine Woche lang nicht mehr am Mulholland oben.«
»Was dann?«
Bosch legte seine Gabel auf den Tisch und schob den Teller von sich.
»Seit einem Treffen mit einem Waffenhändler, bei dem ihn die SIS beobachtet hat, wissen wir, dass Jessup mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Waffe besitzt. Sie haben zwar nicht gesehen, was genau er von diesem Kerl bekommen hat, aber da es in ein Handtuch eingeschlagen war, ist nicht allzu viel Phantasie nötig, um sich denken zu können, was es war. Und jetzt wollt ihr also wissen, was gestern Abend passiert ist? Irgend so ein Intelligenzbolzen von der SIS dachte, er könnte mal eben kurz aufs Klo gehen, ohne den anderen Bescheid zu sagen, und prompt hat sich Jessup das zunutze gemacht.«
»Er ist ihnen entwischt?«, fragte Maggie.
»Ja, aber dann habe ich ihn gerade noch rechtzeitig gesehen, bevor er mich gesehen hat, was ziemlich dumm hätte ausgehen können. Und wisst ihr, was er vorhat? Er baut für jemanden ein
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