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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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über seine Lesebrille hinweg an. Wahrscheinlich war in seinem Gerichtssaal seit Wochen zum ersten Mal etwas Außergewöhnliches passiert. Ein eingefleischter Strafverteidiger trat für das Volk in die Schranken.
    »Meine Herren, in diesem Saal werden bekanntlich nur Vorverhandlungen abgewickelt, und ich habe hier eine Notiz, der zufolge Sie über eine Kaution reden wollen.«
    Jessup war vor vierundzwanzig Jahren des Mordes und der Entführung angeklagt worden. Der Oberste Gerichtshof hatte zwar das damalige Urteil revidiert, aber nicht die Anklage selbst rückgängig gemacht. Diese Entscheidung oblag der Bezirksstaatsanwaltschaft. Deshalb war Jessup weiterhin derselben Taten angeklagt, und es galt auch nach wie vor, dass er sich vor vierundzwanzig Jahren für nicht schuldig erklärt hatte. Nun musste der Fall einem Saal und einem Richter zugeteilt werden. Ein Antrag auf Haftbefreiung gegen Kaution wurde in der Regel erst gestellt, wenn das geschehen war. In diesem Fall hatte Jessup jedoch beschlossen, die Klärung dieser Frage, mittels Royce, zu beschleunigen und sich damit bereits an Firestone zu wenden.
    »Euer Ehren«, erklärte Royce, »die Anklageerhebung gegen meinen Mandanten fand bereits vor vierundzwanzig Jahren statt. Aus diesem Grund würden wir die Zeit heute gern dazu nutzen, über eine Haftbefreiung zu sprechen und einen Antrag zu stellen, diesen Fall beschleunigt zur Verhandlung zu bringen. Mr. Jessup hat lange auf seine Freiheit und Rehabilitierung gewartet. Er beabsichtigt nicht, auf sein Recht auf ein beschleunigtes Verfahren zu verzichten.«
    Ich hatte geahnt, dass Royce so vorgehen würde, weil ich es auch getan hätte. Jedem einer Straftat Beschuldigten steht das Recht auf ein rasches Verfahren zu. In den meisten Fällen werden die Prozesse auf Antrag oder unter stillschweigender Billigung der Verteidigung aufgeschoben, da beide Seiten Zeit für die Vorbereitung haben wollen. Um nun allerdings die Anklage unter Druck zu setzen, drang Royce auf eine rasche Abwicklung des Verfahrens. Bei einem vierundzwanzig Jahre alten Fall, in dem auch noch die Hauptbelastungszeugin unauffindbar war, war es nicht nur ratsam, sondern geradezu unumgänglich, die Anklage in Zeitnot zu bringen. Und ihre Zeit hatte von dem Moment an abzulaufen begonnen, in dem der Supreme Court das Urteil revidiert hatte. Von diesem Zeitpunkt an blieben dem Volk genau sechzig Tage Zeit, um Jessup vor Gericht zu stellen. Zwölf davon waren bereits verstrichen.
    »Ich kann den Fall an die Zuteilungsstelle weiterleiten«, erklärte Firestone. »Allerdings würde ich es vorziehen, wenn sich mit dem Thema Kaution der für den Fall zuständige Richter befassen würde.«
    Royce sammelte sich kurz, bevor er antwortete, und drehte dabei seinen Körper leicht zur Seite, damit ihn die Kameras besser ins Bild bekamen.
    »Euer Ehren, mein Mandant hat sich fälschlicherweise vierundzwanzig Jahre in Haft befunden. Und das ist nicht nur meine persönliche Meinung, zu dieser Auffassung ist auch der Oberste Gerichtshof gelangt. Deshalb hat man ihn aus dem Gefängnis geholt und hierhergebracht, damit noch einmal über seinen Fall verhandelt werden kann. Das alles ist Teil eines fortwährenden Komplotts, das nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat, dafür aber umso mehr mit finanziellen und politischen Interessen. Wir haben es hier mit einem Versuch zu tun, sich der Verantwortung dafür zu entziehen, einem Mann unberechtigterweise die Freiheit geraubt zu haben. Die Klärung dieses Punkts auf eine spätere Verhandlung an einem späteren Tag zu verschieben hieße nichts anderes, als diese Farce von Gerechtigkeit, der Jason Jessup mehr als zwanzig Jahre lang zum Opfer gefallen ist, weiter aufrechtzuerhalten.«
    »Nun gut.«
    Firestone schien verärgert. Das Fließband war ins Stocken geraten. Er hatte eine Verhandlungsliste, auf der wahrscheinlich über fünfundsiebzig Namen standen, und dazu den Wunsch, sie rasch genug abhaken zu können, um rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen. Mit dem Antrag, schon jetzt zu klären, ob Jessup vor Prozessbeginn von der Haft befreit werden sollte, hielt Royce den Ablauf empfindlich auf. Doch Firestone sollte – wie Royce – die Überraschung des Tages erleben. Wenn der Richter nicht rechtzeitig zum Essen nach Hause kam, sollte es nicht an mir liegen.
    Royce stellte einen Antrag, seinen Mandanten lediglich auf Treu und Glauben und ohne die Hinterlegung einer Kaution von der Haft zu befreien.
    Dabei rechnete er

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