Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
kaufen uns diesen Typen wegen des Mordes an Melissa Landy. Und wenn wir damit durch sind, packen wir unsere Schaufeln ein und fahren damit zum Mulholland hoch.«
»Damit
fertig.
«
»Was?«
»Wenn wir damit
fertig
sind.«
»Ganz, wie Sie meinen, Herr Oberlehrer.«
Boschs Blick wanderte von Hallers verbundenen Kreisen zu den Fotos der Mädchen. Sein Gefühl sagte ihm, dass zumindest einige von ihnen nicht älter geworden waren, als sie auf den Fotos waren. Sie lagen unter der Erde, und Jason Jessup hatte sie verscharrt. Der Gedanke, dass sie auch nur einen Tag länger als nötig dort bleiben müssten, war ihm zutiefst zuwider, aber er sah ein, dass sie sich noch ein wenig gedulden müssten.
»Okay«, sagte er. »Dann werde ich nebenbei noch weiter daran arbeiten. Vorerst. Aber da wäre noch etwas anderes von der Profilerin.«
»Habe ich mir fast gedacht«, sagte McPherson. »Was?«
Haller war an seinen Platz zurückgekehrt. Bosch zog einen Stuhl heraus und setzte sich ebenfalls.
»Sie hat gesagt, ein Mörder wie Jessup bessert sich im Gefängnis nicht. Dieses dunkle Element in seinem Innern verschwindet nicht. Es bleibt. Es wartet. Es ist wie ein Krebsgeschwür. Und es reagiert sehr empfindlich auf Druck von außen.«
»Er wird wieder morden«, sagte McPherson.
Bosch nickte langsam.
»Er wird sich nicht ewig damit zufriedengeben, nur die Gräber seiner früheren Opfer aufzusuchen. Früher oder später wird ihn wieder das Bedürfnis nach einem … neuen Kick überkommen. Und wenn er unter Druck steht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser Zeitpunkt eher früher als später eintritt.«
»Dann sollten wir lieber auf der Hut sein«, sagte Haller. »Ich bin derjenige, der seine Haftbefreiung zu verantworten hat. Falls du irgendwelche Zweifel hast, ob er auch ausreichend überwacht wird, lass hören.«
»Ich habe keine Zweifel«, antwortete Bosch. »Wenn Jessup irgendwas vorhaben sollte, sind wir zur Stelle.«
»Wann willst du wieder mit der SIS mitfahren?«, fragte McPherson.
»Sobald ich kann. Aber ich muss natürlich auch an meine Tochter denken. Deshalb geht es nur, wenn sie bei einer Freundin übernachten kann oder jemand auf sie aufpasst.«
»Ich möchte auch mal mitkommen.«
»Warum?«
»Weil ich den wahren Jessup sehen möchte. Nicht den aus der Zeitung und dem Fernsehen.«
»Hm …«
»Was?«
»In den Observierungsteams gibt es keine Frauen, und sie lassen diesen Kerl keine Sekunde aus den Augen. Deshalb machen sie auch keine Pinkelpausen. Sie pissen in Flaschen.«
»Mach dir da mal keine Sorgen, Harry. Das bekomme ich schon hin.«
»Dann werde ich mich darum kümmern.«
21
Freitag, 19. März, 10:50 Uhr
A ls ich hörte, wie Maggie im Vorzimmer Lorna hallo sagte, sah ich auf die Uhr. Sie kam in unser Büro und stellte ihren Aktenkoffer auf ihren Schreibtisch. Es war eine dieser schmalen und eleganten italienischen Lederlaptoptaschen, die sie sich nie selbst gekauft hätte. Zu teuer und zu rot. Mich interessierte brennend, wer sie ihr geschenkt hatte, wie mich überhaupt eine Menge Dinge brennend interessierten, die sie mir nie erzählen würde.
Doch die Herkunft ihres roten Koffers war die geringste meiner Sorgen. In dreizehn Tagen begann die Auswahl der Geschworenen für den Jessup-Fall, und Clive Royce hatte mittlerweile seinen besten Treffer gelandet. Er war zwei Zentimeter dick und lag vor mir auf dem Schreibtisch.
»Wo warst du?«, fragte ich mit einem verärgerten Unterton. »Ich habe dich auf dem Handy zu erreichen versucht, aber du bist nicht drangegangen.«
Sie kam, ihren Stuhl hinter sich herziehend, an meinen Schreibtisch.
»Eher müsste es doch wohl heißen: Wo warst du?«
Ich blickte auf meine Kalenderschreibunterlage und sah keinen Eintrag im Feld für diesen Tag.
»Wie bitte?«
»Ich habe das Handy ausgestellt, weil ich bei Hayleys Ehrungsfeier war. In der Schule wollen sie nämlich nicht, dass ständig irgendein Handy klingelt, wenn sie die Kids aufrufen, um ihnen ihre Auszeichnungen zu überreichen.«
»Ach du Scheiße!«
Sie hatte es mir gesagt und die Mail an mich weitergeleitet. Ich hatte es mir ausgedruckt und an den Kühlschrank gehängt. Aber nicht auf meiner Schreibunterlage oder in meinem Handykalender vermerkt. Ich hatte es verschwitzt.
»Du hättest kommen sollen, Haller. Du wärst stolz gewesen.«
»Ich weiß, ich weiß. Ich habe es vermasselt.«
»Ist ja nicht weiter schlimm. Du wirst noch mehr Chancen bekommen. Um es zu vermasseln oder
Weitere Kostenlose Bücher