Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
schon mal was. Und vielleicht finden wir danach sogar noch etwas Zeit zum Arbeiten.«
»Und dass ich dann über Nacht bleibe? Ist es das, worauf du hinauswillst?«
»Klar, wenn du möchtest.«
»Das hättest du wohl gerne, Haller.«
»Natürlich.«
»Sie wurde übrigens besonders lobend erwähnt. Damit du da wenigstens nicht wieder Mist baust, wenn du sie heute Abend siehst.«
Ich grinste.
»Heute Abend? Meinst du das ernst?«
»Wie soll ich es denn sonst meinen?«
»Dann mach dir mal keine Sorgen. Ich werde keinen Mist bauen.«
22
Samstag, 20. März, 20:00 Uhr
W eil Bosch erwähnt hatte, dass eine Staatsanwältin an der SIS -Observierung teilnehmen wollte, hatte Lieutenant Wright seinen Dienstplan so gelegt, dass er Samstagabend dran war und den Wagen fuhr, dem die Gäste zugeteilt waren. Bosch traf sich mit McPherson auf einem sechs Straßen vom Strand entfernten Parkplatz in Venice, auf dem sie sich mit dem Observierungsteam verabredet hatten, und gab Wright über Funk Bescheid, dass sie bereit waren. Fünfzehn Minuten später bog ein weißer SUV auf den Parkplatz und hielt neben ihnen an. Bosch überließ McPherson den Beifahrersitz und stieg hinten ein. Das war nicht, weil er den Kavalier spielen wollte. Auf dem Rücksitz konnte er während der langen nächtlichen Observierung die Beine besser ausstrecken.
»Steve Wright«, stellte sich der Lieutenant vor und reichte McPherson die Hand.
»Maggie McPherson. Danke, dass ich mitkommen darf.«
»Kein Problem. Wir freuen uns immer, wenn sich die Staatsanwaltschaft für unsere Arbeit interessiert. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Sie heute Abend auf Ihre Kosten kommen.«
»Wo ist Jessup im Moment?«
»Als ich losgefahren bin, war er im Brig auf dem Abbot Kinney Boulevard. Er steht auf Lokale, die richtig voll sind, was uns sehr zugute kommt. Zwei Männer habe ich drinnen postiert und ein paar weitere draußen auf der Straße. Langsam haben wir uns auf seinen Rhythmus eingestellt. Er geht in eine Kneipe, wartet, bis ihn jemand erkennt und ihm ein paar Drinks spendiert, und zieht dann in die nächste weiter – ziemlich rasch, wenn ihn niemand erkennt.«
»Mich interessieren weniger seine Trinkgewohnheiten als seine spätnächtlichen Ausflüge.«
»Wenn er auf Kneipentour ist, ist das ein gutes Zeichen«, sagte Bosch vom Rücksitz. »Da besteht ein kausaler Zusammenhang. Die Abende, an denen er Alkohol trinkt, sind normalerweise auch die Abende, an denen er zum Mulholland hochfährt.«
Wright nickte zur Bestätigung und fuhr los. Weil er nicht wie ein Cop aussah, war er für Observierungen ideal geeignet. Ende fünfzig, mit Brille, schütterem Haar und immer ein paar Stiften in seiner Hemdtasche, sah er eher wie ein Buchhalter aus. Aber er war schon über zwanzig Jahr bei der SIS und hatte an mehreren Einsätzen mit tödlichem Ausgang teilgenommen. Etwa alle fünf Jahre brachte die
Times
einen Bericht über die SIS , in dem sie üblicherweise die Zahl ihrer Todesopfer auflistete. Im letzten Artikel, an den Bosch sich erinnern konnte, hatte die Zeitung Wright als den »atypischen Revolverhelden der SIS « bezeichnet. Obwohl dieser Titel von den für den Bericht verantwortlichen Reportern und Redakteuren vermutlich als Beleidigung gedacht gewesen war, betrachtete ihn Wright als Auszeichnung. Er hatte ihn sich auf seiner Visitenkarte unter seinen Namen drucken lassen. Natürlich in Anführungszeichen.
Wright fuhr den Abbot Kinney Boulevard hinunter und am Brig vorbei, das in einem zweigeschossigen Bau auf der Ostseite der Straße lag. Zwei Blocks weiter wendete er, fuhr wieder zurück und hielt zweihundert Meter vor der Bar neben einem Hydranten an.
Auf dem beleuchteten Schild vor dem Brig war ein Boxer im Ring abgebildet, der kampfbereit seine roten Handschuhe gehoben hatte. Eigentlich passte dieses Bild nicht zum Namen der Bar, aber Bosch kannte die Geschichte dahinter. Er hatte in jungen Jahren in diesem Viertel gelebt und wusste, dass das Schild mit dem Boxer von einem früheren Inhaber angebracht worden war, der die Bar von den ursprünglichen Besitzern gekauft hatte. Der neue Wirt war einmal Boxer gewesen und hatte die Inneneinrichtung auf seine Lieblingssportart abgestimmt. Außerdem hatte er das Schild über dem Eingang aufgehängt. An der Seite des Gebäudes war ein Wandbild des Boxers und seiner Frau, aber sie waren längst tot.
»Hier Fünf. Status?«
Wright sprach in ein an der Sonnenblende befestigtes Mikrophon. Bosch wusste, es
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