Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
gesetzt haben.«
»Natürlich nicht. Wir haben in der Offenlegung keine Privatadressen angegeben.« Ich wandte mich Bosch zu. »Für dich habe ich nur zwei Adressen aufgeführt. Deine Dienststelle und mein Büro. Auch deine Durchwahl haben sie nicht bekommen, nur die Hauptrufnummer des PAB .«
»Wie hat er dann herausgefunden, wo ich wohne?«, fragte Bosch, immer noch in demselben vorwurfsvollen Ton.
»Jetzt hör mal, Harry, du gibst mir die Schuld für etwas, wofür ich wirklich absolut nichts kann. Ich weiß nicht, wie er dein Haus gefunden hat, aber so schwer kann das auch nicht gewesen sein. Ich meine, machen wir uns doch nichts vor. Im Internet kann doch heute jeder jeden finden. Das Haus gehört dir doch, oder? Du zahlst Grundsteuer, beziehst Strom, Wasser, Gas und stehst garantiert auch im Wahlregister – Republikaner, nehme ich mal an.«
»Unabhängig.«
»Meinetwegen. Die Sache ist die: Wenn dich jemand finden will, findet er dich auch. Dazu kommt noch, dass du einen ungewöhnlichen Namen hast. Alles, was man tun muss, ist, deinen Namen in den …«
»Hast du meinen vollständigen Namen angegeben?«
»Das musste ich, Vorschrift. Außerdem steht er in jeder Offenlegungsakte zu jedem Fall, in dem du mal vor Gericht ausgesagt hast. Aber davon mal ganz abgesehen, war alles, was Jessup gebraucht hätte, ein Internetzugang, und schon …«
»Jessup war vierundzwanzig Jahre im Gefängnis. Er hat noch weniger Ahnung vom Internet als ich. Er muss Hilfe bekommen haben, und ich wette, sie kam von Royce.«
»Aber das sind doch alles nur Vermutungen.«
Bosch sah mich durchdringend an, und über seine Augen huschte ein dunkler Schatten.
»Verteidigst du jetzt
ihn?
«
»Nein, ich verteidige niemanden. Ich sage nur, wir sollten uns nicht zu irgendwelchen vorschnellen Schlüssen hinreißen lassen. Jessup wohnt bei einem alten Bekannten und ist mittlerweile fast so etwas wie eine Berühmtheit. Und Berühmtheiten haben immer Leute, die sich regelrecht darum reißen, etwas für sie zu tun. Deshalb würde ich vorschlagen, ihr regt euch erst mal ab, und dann erzählt ihr mir in aller Ruhe, was eigentlich genau los ist. Was ist in deinem Haus passiert?«
Bosch schien sich etwas zu beruhigen, war aber immer noch alles andere als gefasst. Halb rechnete ich damit, dass er aufstehen und eine Lampe umstoßen oder gegen die Wand boxen würde. Zum Glück war es Maggie, die schließlich zu erzählen begann.
»Wir waren mit der SIS unterwegs, ihn beschatten. Wir dachten, er würde zu einem der Parks rauffahren, in denen er in letzter Zeit mehrere Male war. Aber diesmal fuhr er an allen vorbei und weiter den Mulholland entlang. Als wir zu der Straße kamen, in der Harry wohnt, mussten wir uns zurückfallen lassen, um nicht von ihm entdeckt zu werden. Ein SIS -Team hatte ein Auto mit zwei Fahrrädern. Und mit denen sind dann zwei Männer die Straße runtergefahren. Sie haben Jessup vor Harrys Haus in seinem Auto sitzen sehen.«
»Verdammte Scheiße noch mal!«, schimpfte Bosch. »Meine Tochter wohnt bei mir. Wenn dieses Schwein …«
»Harry, nicht so laut, und achte bitte auf deine Wortwahl«, bremste ich ihn. »Meine Tochter ist im Zimmer nebenan. Doch wieder zurück zu Jessup. Was hat er genau gemacht?«
Bosch zögerte. Maggie nicht.
»Er saß einfach nur im Auto. Etwa eine halbe Stunde. Und er hat eine Kerze angezündet.«
»Eine Kerze? Im Auto?«
»Ja, auf dem Armaturenbrett.«
»Was könnte das zu bedeuten haben?«
»Keine Ahnung.«
Bosch konnte nicht stillsitzen. Er sprang von der Couch auf und begann, auf und ab zu gehen.
»Und nach einer weiteren halben Stunde ist er einfach wieder losgefahren«, fuhr Maggie fort. »Zu sich nach Hause. Und damit hatte es sich. Wir kommen gerade aus Venice.«
Jetzt stand ich auf und begann, auf und ab zu gehen, aber so, dass ich Bosch nicht in die Quere kam.
»Okay, dann lasst uns mal überlegen. Was könnte er dort gewollt haben.«
»Respekt, Sherlock«, knurrte Bosch. »Das ist die große Frage.«
Ich nickte. Das geschah mir recht.
»Besteht Grund zu der Annahme, dass er weiß oder ahnt, dass er beschattet wird?«, fragte ich.
»Nein, das ist vollkommen ausgeschlossen«, antwortete Bosch sofort.
»Moment, Moment, da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Maggie. »Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt. Ein paar Stunden davor wäre er uns heute Abend um ein Haar auf die Schliche gekommen. Erinnerst du dich noch, Harry? In der Breeze Avenue?«
Bosch nickte.
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