Harry Dresden 09: Weiße Nächte
einer Zeit des Friedens und fordere euch hier und jetzt, vor all diesen Zeugen, zu einem Urteil durch einen Zweikampf heraus.“ Ich stieß meinen Stab mit einem zweiten Donnerhall auf den Boden, und Höllenfeuer brandete durch die Runen. „Bis zum Tode.“
Absolute Grabesstille legte sich über die Tiefe.
Verflucht, es gab echt kaum etwas Besseres als einen coolen Auftritt.
37. Kapitel
L eere Nacht“, fluchte Madrigal mit weit aufgerissenen Augen auf Englisch. „Das passiert gerade nicht.“
Ich grinste ihn breit an und antwortete in derselben Sprache: „Zeit, für deine Schuld zu bezahlen, Arschloch.“
Vittorio Malvora sah sich über die Schulter zu einer kleinen Frau um, die kaum eins fünfzig groß sein konnte. Sie war in ein weißes Gewand gehüllt, das sich am ehesten noch als Toga beschreiben ließ. Sie besaß die Kurven einer griechischen Göttin, und das Kleid verstärkte diesen Eindruck noch zusätzlich. Ihr Antlitz war zu einer strengen, abweisenden Maske erstarrt.
Sie wandte sich mit chromfarbenen Augen in meine Richtung, und ihre weinroten Lippen enthüllten äußerst weiße Zähne.
Im selben Augenblick entstand ein ziemlicher Tumult unter den Vampiren, und ein plötzlicher Chor entrüsteter und wütender Stimmen hallte uns entgegen. Wenn ich in einer etwas weniger widerspenstigen Laune gewesen wäre, hätte mir das wahrscheinlich eine Scheißangst eingejagt, doch wie die Dinge lagen, drehte ich mich nur ein wenig nach links, während sich Ramirez nach rechts wandte, bis wir schließlich Rücken an Rücken standen. Uns blieb nicht viel anderes übrig, als uns auf einen Kampf vorzubereiten, sollte irgendjemand beschließen, das gute alte Magierverprügeln zum Partyhighlight des Abends zu erklären.
Das gab mir Gelegenheit, mich ein wenig in der Höhle umzusehen. Die Höhle war fast so riesig wie eine Pariser Kathedrale, mit einer enorm hohen Kuppeldecke, die im Zwielicht fast nicht mehr auszumachen war. Boden und Wände bestanden aus massivem Gestein, das einen beinahe schon organischen Eindruck erweckte. Glattes Grau, in dem grünliche, dunkelrote und kobaltblaue Adern schimmerten. Alles war rund und glatt, keine einzige schroffe Kante war zu entdecken.
Der Dekor hatte sich seit dem letzten Mal leicht verändert. Gedämpftes bernsteinfarbenes, oranges und purpurrotes Licht spielte über die Wände. Die Lampen wechselten wohl automatisch, da sich die Lichter bewegten, die Farben sich auf subtile Art mischten und die Schatten tanzten und zuckten, was den Eindruck eines lodernden Feuers erweckte, ohne auf die Klarheit einer elektrischen Beleuchtung zu verzichten. Sitzgelegenheiten waren in drei großen Gruppen um eine große Freifläche in der Mitte angeordnet. Auf dieser hatten, so nahm ich zumindest an, die führenden Mitglieder der drei großen Häuser Platz genommen. Alles in allem um die hundert Vampire. Diener in denselben reich bestickten Kimonos, wie Justine einen getragen hatte, huschten an den Wänden entlang und trugen Tabletts voller Drinks und kleiner Imbisse.
Der Boden erhob sich in unzähligen, fingerhohen Wellen in Richtung der gegenüberliegenden Höhlenwand, wo der Weiße König über seinem Hof thronte.
Raiths Thron war ein gigantischer Sitz aus knochenweißem Stein. Die Rückenlehne weitete sich wie der gespreizte Rückenschild einer Kobra zu einem riesigen Paravent aus, der über und über mit fein gemeißelten Ornamenten bedeckt war, angefangen von spinnenartig-krakeligen keltischen Mustern bis zu Abbildungen nicht gerade leicht zu definierender zwischenmenschlicher Aktivitäten, die ich mir eigentlich gar nicht so genau im Detail ansehen wollte. Hinter dem Thronsitz sickerte ein sanfter Nebelschleier von der Decke herab, der durch das Spiel der Lichter elegant aufflackerte. Schlieren und Wirbel in allen Farben des Regenbogens umtanzten den Thron. Hinter diesem tückischen Nebelschleier endete der Boden der Höhle abrupt, und ein gähnender Abgrund in die tiefsten Eingeweide der Erde selbst öffnete sich.
Der Weiße König saß auf diesem Thronsitz. Thomas kam sehr nach seinem Vater, und auf den ersten Blick hätte man Lord Raith durchaus für Thomas halten können. Er besaß dieselben ästhetischen, anziehenden Züge, dasselbe glänzende dunkle Haar, denselben schlanken Körperbau. Er sah eine Spur älter als Thomas aus, doch ihre Gesichter hätten gar nicht verschiedener sein können. Es lag wohl an den Augen. Sie waren irgendwie … mit einem Makel behaftet, mit
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