Harry Dresden 09: Weiße Nächte
langsam durch den zertrümmerten Raum gleiten. Ein fast perfekt rundes Loch hatte sich in den Decken der vier Etagen über uns gebildet. Bruchstücke und Staub rieselten noch immer herab. „Wie könnte ich jemals eine Bedrohung für dich darstellen, Lara?“, entgegnete ich gedehnt.
Sie atmete tief ein und sagte: „Wieso sind Sie so sicher, dass ich Sie nicht hier an Ort und Stelle töten werde? Jetzt, wo Sie energielos, müde und erschöpft sind? Das wäre höchstwahrscheinlich der intelligenteste und profitabelste Weg.“ Sie hob den Dolch und fuhr mit dem Zeigefinger sinnlich über die geflammte Klinge. „Warum sollte ich Sie nicht sofort erledigen?“
Ich grinste breit. „Weil du mir freies Geleit versprochen hast.“
Lara warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. „Das habe ich.“ Sie legte die Waffe beiseite und sah mir ins Gesicht. „Was wollen Sie?“
„Ich will, dass du all diese Menschen wieder zum Leben erweckst“, spie ich ihr entgegen. „Ich will, dass du all die Schmerzen, die diese Sache angerichtet hat, ungeschehen machst. Ich will, dass Kinder ihre Mütter zurückbekommen, Eltern ihre Töchter, Männer ihre Frauen. Ich will, dass du und deine Art nie wieder jemandem Leid zufügt.“
Vor meinen Augen verwandelte sie sich von einer Frau in eine Skulptur. Empfindungslos und völlig reglos. „Was wollen Sie“, murmelte sie, „das ich auch erfüllen kann?“
„Zunächst Reparationszahlungen. Ein Wergeld für die Familien der Opfer“, verlangte ich. „Ich werde dir die Details zukommen lassen.“
„Einverstanden.“
„Zweitens wird das nie wieder geschehen. Wenn einer von euch nochmal seinen privaten Genozid anfängt, werde ich auf dieselbe Weise zurückschlagen, und ich werde mit dir beginnen. Darauf verlange ich deinen Eid.“
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Einverstanden.“
„Das Kleine Volk“, fuhr ich fort, „sollte nicht in Käfigen eingesperrt sein. Lass sie in meinem Namen laufen, ohne ihnen ein Haar zu krümmen.“
Sie überlegte und nickte dann. „Noch etwas?“
„Etwas zum Gurgeln. Ich habe einen scheußlichen Geschmack im Mund.“
Mit der letzten Bemerkung hatte ich einen wunden Punkt getroffen, und das machte sie offensichtlich wütender als alles andere, was sich in dieser Nacht zugetragen hatte. Ihre silbernen Augen blitzten vor Zorn auf, und ich konnte ihre Wut förmlich fühlen. „Diese Angelegenheit ist damit erledigt“, knurrte sie. „Verschwinden Sie.“
Ich rappelte mich auf. Eine der Wände war eingestürzt, und ich humpelte zu der Bresche hinüber. Mein Genick tat weh. Ich tippe mal darauf, dass man sich einen bösen Peitschenschlag einfängt, wenn man unmenschlich schnell durch die Gegend fliegt.
Ich hielt bei dem Loch in der Wand inne und sagte: „Ich bin froh, dass wir die Friedensbemühungen gesichert haben. Das wird Leben retten. Die deiner Art und meiner. Ich hoffe, du hast das begriffen.“ Ich warf ihr einen harten Blick zu. „Sonst würde ich das jetzt gleich an Ort und Stelle regeln, und bilde dir ja nicht ein, wir wären Freunde.“
Sie drehte sich zu mir um, und die langsam um sich greifenden Brände zauberten Schatten auf ihr Gesicht. „Ich freue mich, dass du lebst, Magier. Der du meinen Vater überwältigt und mich an die Macht gebracht hast. Der du meine Feinde zermalmt hast. Du bist die wundervollste Waffe, die ich je geführt habe.“ Sie neigte leicht ihren Kopf in meine Richtung. „Ich liebe den Frieden. Ich liebe es, mich zu unterhalten. Zu frohlocken. Mich zu entspannen.“ Ihre Stimme war rauchig. „Ich werde dein Volk mit Frieden erledigen. Ich werde es damit ersticken, und es wird mir die ganze Zeit über dafür danken.“
Ein kleiner, eisiger Dolch bohrte sich in meine Eingeweide, doch ich ließ mir nichts anmerken. „Nicht, so lange ich hier bin“, sagte ich leise.
Dann wandte ich mich ab und ging aus dem Haus. Mein Blick war verschwommen, doch schließlich konnte ich mich orientieren und humpelte erschöpft zum Eingang des Anwesens. Auf dem Weg fummelte ich Mouses Hundepfeife aus der Manteltasche und blies hinein.
Ich erinnere mich noch, dass Mouse plötzlich an meiner Seite war. Ich klammerte mich an sein Halsband und hinkte die letzten fünfzig Meter die Straße hinunter, bis mir Molly mit dem knatternden blauen Käfer entgegenkam und mir ins Wageninnere half.
Ich schlief sofort ein.
Das hatte ich mir verdient.
43. Kapitel
I ch erwachte auf dem Heimweg kein einziges Mal und dann auch
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