Harry Dresden 09: Weiße Nächte
schon.“
Murphy schnaubte mich an. „Meister arkanen Wissens.“
„Ich habe Latein in einem Fernkurs gelernt, klar? Wir hätten außerdem meinen Wagen nehmen sollen.“
„Der Innenraum eines Käfers ist kleiner als der dieses Autos.“
„Aber ich weiß, wo alles hingehört“, sagte ich, während ich versuchte, meinen rechten Fuß zu befreien, der sich irgendwo im Rahmen des Autos verkeilt hatte.
„Jammern alle Magier so viel?“ Murphy nippte an ihrem Kaffee.
„Es liegt nur daran, dass du fahren willst. Ich glaube, du bist ein Kontrollfreak.“
„Kontrollfreak?“
„Kontrollfreak“, bestätigte sie.
„Du bist doch diejenige, die die Adresse dieser Frau nicht suchen wollte, ehe ich dir versprochen hatte, dich fahren zu lassen. Aber ich bin der Kontrollfreak?“
„Bei mir ist es weniger eine Neurose als ein Lebensumstand“, meinte sie ruhig. „Außerdem ist dein Clownsauto nicht gerade unauffällig, und wenn man jemanden beschatten will, ist es ratsam, zunächst einmal unauffällig zu sein.“
Ich stierte sauer aus der Windschutzscheibe ihres Wagens und linste zu dem Gebäude hoch, wo eine gewisse Anna Ash anscheinend eine Versammlung des Ordens des großen Kochto… äh, Kessels abhielt. Murphy hatte an der Straße einen Parkplatz gefunden, was mich in dem Verdacht bestärkte, dass sie selbst ein übernatürliches Talent besaß. Nur eine Art hellseherisches ESP hatte uns an dieser Straße eine Parkgelegenheit verschaffen können, noch dazu im Schatten eines Gebäudes und mit guter Sicht auf den Eingang des Wohnblocks für uns beide.
„Wie spät ist es?“, fragte ich.
„Vor fünf Minuten war es drei“, sagte Murphy. „Ich bin nicht sicher, aber ich stelle mal die Theorie auf, dass es so um die fünf nach drei sein muss.“
Ich verschränkte die Arme. „Normalerweise mache ich keine Beschattungen.“
„Ich dachte, das wäre eine willkommene, entspannende Abwechslung für dich. Immer nur Türen einzutreten und Häuser niederzubrennen muss nach einer Weile ganz schön anstrengend sein.“
„Ich trete nicht nur Türen ein“, sagte ich. „Manchmal reiße ich auch Mauern nieder.“
„Aber so sehen wir, wer das Gebäude betritt. Eventuell finden wir ja etwas heraus.“
Ich grunzte skeptisch. „Etwas herausfinden, hm?“
„Es tut nur kurz weh.“ Murphy nippte an ihrem Kaffee und nickte in Richtung einer Frau, die das Wohnhaus ansteuerte. Sie trug ein einfaches Sommerkleid und darüber ein aufgeknöpftes, weißes Herrenhemd. Sie war Ende dreißig und hatte ihr graumeliertes brünettes Haar zu einem Dutt zusammengefasst. Sie trug Sandalen und Sonnenbrille. „Wie steht’s mit ihr?“
„Ja“, sagte ich. „Ich kenne sie. Hab sie ein paarmal in Bocks Buchladen gesehen.“
Die Frau betrat das Haus mit festen, zielsicheren Schritten.
Murphy und ich widmeten uns wieder dem Warten. Im Laufe der nächsten fünfundvierzig Minuten kamen vier weitere Frauen an. Ich kannte zwei von ihnen.
Murphy sah auf ihre Uhr – eine Taschenuhr mit einem echten Uhrwerk, an der man keinen einzigen Mikrochip oder eine Batterie finden konnte. „Fast vier“, sagte sie. „Höchstens ein halbes Duzend?“
„Sieht so aus.“
„Hast du einen offensichtlichen bösen Buben entdecken können?“
„Das Verrückte an bösen Buben ist, dass man sich nie darauf verlassen kann, dass diese Schlingel offensichtlich sind. Die vergessen immer, Pomade in ihre Zwirbelbärte zu schmieren, lassen ihre Hörner zu Hause oder haben ihre schwarzen Zylinder in der Reinigung. Die sind ganz schön raffiniert.“
Murphy warf mir einen direkten und alles andere als belustigten Blick zu. „Sollen wir hochgehen?“
„Warte noch fünf Minuten. Keine Macht im Universum könnte eine Gruppe, die einen lateinischen Namen trägt, dazu bewegen, irgendetwas pünktlich zu beginnen. Wenn die alle um vier hier sind, können wir sicher sein, dass schwarze Magie im Spiel ist.“
Murphy schnaubte, und wir warteten noch einige Minuten lang ab. „So“, begann Murphy, offensichtlich um die Zeit totzuschlagen. „Wie läuft der Krieg?“ Sie hielt kurz inne. „Oh Gott, was für eine Frage.“
„Langsam“, sagte ich. „Seit unserem kleinen Ausflug nach Arctis Tor und den Prügeln, die die Vampire danach haben einstecken müssen, ist alles ruhig. Ich war diesen Frühling in New Mexico.“
„Warum?“
„Um Luccio dabei unter die Arme zu greifen, Babywächter auszubilden“, sagte ich. „Es ist ratsam, möglichst weit von
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