Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Dresden.“
Wir saßen eine Minute lang einfach nur schweigend da, während um uns Sirenen ertönten und rasch näherkamen.
„Bombe, oder was meinst du?“, fragte Murphy in dem Tonfall, den die Leute immer draufhatten, wenn sie sonst nicht wussten, was sie sagen sollen.
„Ganz genau“, pflichtete ich ihr bei. „Ich hatte etwas überschüssige Energie geerdet, als sie in die Luft ging. Wahrscheinlich habe ich den Zeitzünder oder Empfänger der Bombe behext. Wodurch sie zu früh hochging.“
„Außer, wenn sie als Warnschuss gedacht war“, sagte sie.
Ich grunzte. „Was glaubst du, wessen Bombe?“
„Ich habe in letzter Zeit niemand Neuen genervt“, sagte Murphy.
„Ich auch nicht.“
„Du hast in toto weit mehr Leute genervt als ich.“
„In toto?“, fragte ich. „Wer bitte schön sagt denn so was? Außerdem entsprechen Autobomben nicht gerade dem unverwechselbaren … äh, unverwechselbaren …
„Stil?“, fragte Murphy mit leichtem britischen Akzent.
„Ja, Stil!“, verkündete ich und gab mir alle Mühe, John Cleese zu imitieren. „Dem unverwechselbaren Stil der Entitäten, denen ich auf die Zehen getreten bin. Außerdem werde ich bei deinen Monty-Python-Anspielungen immer ganz wuschig.“
„Du bist armselig, Harry.“ Ihr Lächeln verschwand. „Aber Autobomben sind durchaus der Stil von Ex-Knackis“, meinte sie.
„Mrs. Beckitt war die ganze Zeit mit uns in einem Raum, wie du dich erinnerst.“
„Was ist mit Mister Beckitt?“, fragte Murphy.
„Oh“, sagte ich. „Ah. Glaubst du, er ist mittlerweile auf freiem Fuß?“
„Ich glaube, es gibt ein paar Dinge, die wir herausfinden sollten“, entgegnete sie. „Du solltest verschwinden.“
„Ja?“
„Du weißt doch, ich bin nicht offiziell im Dienst“, erklärte Murphy. „Das ist mein Wagen. Es ist einfacher, wenn nur eine Person all die Fragen beantwortet.“
„Gut“, sagte ich und kämpfte mich auf die Füße. „Wo willst du ansetzen?“
„Ich nehme unsere Leiche, die nicht ins Muster passt, und die Beckitts“, sagte sie. Ich bot ihr die Hand. Sie nahm sie, was bei uns eine schwerwiegendere Bedeutung hatte, als dem zufälligen Beobachter aufgefallen wäre. „Was tust du?“
Ich seufzte. „Ich werde mit meinem Bruder reden.“
„Ich bin sicher, dass er nicht in die Angelegenheit verwickelt ist“, versicherte mir Murphy leise. „Aber …“
„Aber er kennt sich im Inkubusgeschäft aus“, beendete ich ihren Satz, auch wenn Murphy das nicht hatte sagen wollen. Ich hätte darauf wahrscheinlich ziemlich giftig reagiert, auch wenn ich ihr auf einer rein rationalen Ebene den Verdacht ganz und gar nicht verdenken konnte. Sie war Polizistin. Sie hatte ihr gesamtes Erwachsenenleben damit zugebracht, sich mit den heimtückischsten, unehrlichsten Elementen der menschlichen Zivilisation herumzuschlagen. Rein logisch gesehen hatte sie jedes Recht für ihre Zweifel und jede Veranlassung, Fragen zu stellen, bis sie weitere Informationen zur Verfügung hatte. Schließlich standen Menschenleben auf dem Spiel.
Aber Thomas war mein Bruder, mein Blutsverwandter. Da spielten Vernunft und rationales Denken kaum eine Rolle.
Der erste Einsatzwagen, ein Streifenwagen der Polizei, bog ein paar Blocks entfernt um die Ecke. Dahinter folgten die ersten Feuerwehrautos.
„Zeit zu gehen“, forderte mich Murphy mit verhaltener Stimme auf.
„Ich sehe zu, was ich herausfinden kann“, versicherte ich ihr und verkrümelte mich.
Ich nahm die El in mein Viertel und blieb die gesamte Fahrt über wachsam, ob mir jemand folgte, mir auflauerte oder sonstige schurkische Taten plante, die mich mit einschlossen. Ich konnte weder in der El noch auf dem Rückweg zu meiner Wohnung im Keller einer alten Gästepension jemanden entdecken, der sich einer dieser drei Beschäftigungen hingab.
Zuhause ging ich die ausgetretene Treppe zu meiner Eingangstür hinunter – einer dieser coolen Sicherheitstüren aus Metall – und mit einigen gemurmelten Worten und einer leichten Willensanstrengung entschärfte ich die Schutzzeichen, die mein Zuhause behüteten. Dann benutzte ich einen Schlüssel, um ihre konventionellen Schlösser zu öffnen, und schlüpfte ins Innere.
Prompt kam Mister angedonnert und rammte mir zur Begrüßung seine Schulter ins Schienbein. Der große, graue Kater wog gut fünfzehn Kilo, und der Aufprall brachte mich so aus dem Gleichgewicht, dass ich mit meinen Schulterblättern hart gegen die Tür knallte. Ich beugte mich nach unten
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