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Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Titel: Harry Dresden 09: Weiße Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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zu spekulieren.
    Also was tat ich?
    Ganz sicher wollte ich keine Aufmerksamkeit erregen, sonst hätte ich mir nicht solche Mühe gegeben, diesen Mord wie einen Unfall aussehen zu lassen. Ich war vorsichtig, gerissen und geduldig, sonst hätte ich das nie schon in vier Städten zuvor abziehen können. Ich tat also, was jedes schlaue Raubtier getan hätte, wenn es das Anschleichen vermasselt hatte.
    Ich verduftete.
    Ich hatte einen Fluchtwagen ganz in der Nähe.
    Graumantel hatte das andere Ende der Gasse erreicht und rannte nach links, ich etwa zwanzig Meter hinter ihm. Dann umrundete er eine Ecke und sprintete in ein Parkhaus.
    Ich folgte ihm nicht.
    Sehen Sie? Nachdem ich ja so ein kompetenter und methodischer Killer war, rechnete ich immer mit dem Schlimmsten – dass jemand, der die Verfolgung aufnahm, ebenso intelligent und abgefeimt war. Also versuchte ich, meinen Verfolger ins Parkhaus zu locken, das verdammt verwinkelt war und wo man jemanden schnell aus den Augen verlor – auch wenn mein Fluchtwagen dort überhaupt nicht stand. Ich hatte null Bock, auf den Parkwächter zu warten, um die Gebühr zu bezahlen. Einfach die Schranke über den Haufen zu fahren hätte viel zu viel Aufmerksamkeit erregt, die ich doch gerade vermeiden wollte. Der Plan war also, meinen Verfolger in den Schatten, auf den zahlreichen Rampen, in den Eingängen oder zwischen den im Labyrinth der Garage abgestellten Autos abzuschütteln und lässig zu meinem Auto zu schlendern, wenn das erledigt war.
    Also rannte ich weiter die Straße entlang und um eine Ecke. Dann blieb ich stehen und kauerte mich hin, allzeit bereit, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Auf der Rückseite und in der Gasse gab es keine Parkmöglichkeiten. Also musste Graumantel sein Auto entweder auf der Straße vor dem Parkhaus oder in der anderen Seitenstraße abgestellt haben. Von meiner Ecke aus konnte ich beide beobachten.
    Ich kauerte mich neben einen städtischen Mülleimer und betete inbrünstig, dass ich wirklich so schlau war, wie ich mir einbildete. Ich war sicher, dass es im besten Fall ordentlich bescheuert, im schlechtesten ziemlich tödlich gewesen wäre, Graumantel in die Dunkelheit des Parkhauses zu folgen. Ich konnte zwar höllisch austeilen, doch war ich genau so zerbrechlich wie Otto Normalverbraucher, und wenn ich Graumantel in die Ecke trieb, war es möglich, dass dieser zu äußerst verzweifelten Mitteln griff. Wenn ich auch nur ausrutschte oder ihm unachtsam zu nahe kam, hätte er mich wie ein nasses Handtuch auf die Bretter schicken können.
    Immer vorausgesetzt, dass es sich nicht um einen echten Wächter handelte, der mir wahrscheinlich Blitze, Feuer oder irgendeine andere Grässlichkeit um die Ohren gehauen hätte. Das war aber ... ein beruhigender Gedanke. Ehrlich!
    Ich hatte den Großteil meines Erwachsenenlebens in maßloser Angst vor den Wächtern verbracht. Sie waren einmal meine Verfolger gewesen, meine persönlichen Furien, und auch wenn ich inzwischen selbst einer war, erfüllte mich allein der Gedanke, dass ein Wächter der Bösewicht sein konnte, mit kindischer Schadenfreude. Das hätte mir eine Entschuldigung geboten, es ihnen nach langem Warten gehörig heimzuzahlen.
    Außer natürlich, wenn es sich um einen Wächter handelte, der auf direkten Befehl agierte. Vor langer Zeit hätte ich Ihnen höchstwahrscheinlich einmal versichert, der Rat bestehe aus anständigen Menschen, die Menschenleben achteten. Jetzt wusste ich es besser. Der Rat brach seine eigenen Gesetze, wann immer es ihm passte. Zur gleichen Zeit jedoch richtete er Kinder hin, die eben diese Gesetze aus Unwissenheit missachtet hatten. Durch den Krieg war der Rat immer verzweifelter geworden und mehr als willens, Risiken einzugehen oder „harte Entscheidungen“ zu fällen, die anderen Leuten das Leben kosteten, während das die Sicherheit der knochigen Ärsche des Rates erkaufte.
    Auch wenn es mir vorschnell schien, auch nur anzunehmen, ein rechtmäßiger Wächter könne so tief gesunken sein oder Kommandantin Luccio, die Oberbefehlshaberin der Wächter, könne dies gutheißen – die Aufrichtigkeit und der Ehrbegriff des Rates im Allgemeinen und der Wächtern im Besonderen hatten mich immer wieder enttäuscht, und genau aus diesem Grund durfte ich auch nicht zu viel rationales Denken von Graumantel erwarten. Das Szenario, das ich im Geiste als das wahrscheinlichste vorausgesagt hatte, basierte aber auf plausiblem, vernünftigem Denken. Doch würde eine vernünftige

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