Harry Dresden 09: Weiße Nächte
in der Nähe“, sagte Anna.
Mouse starrte weiter auf die Tür, und aus seiner Kehle quoll ein stetiges Knurren. Der Rauchgeruch wurde immer stärker.
„Im Flur wartet etwas auf uns.“
„Was?“, fragte Anna.
Elaine sah von Mouse zu mir, und sie biss sich auf die Lippe. „Fenster?“
Mein Herz begann zu rasen. Ich mag Feuer nicht. Ich mag es nicht, mich zu verbrennen. Es tut weh und ist verdammt hässlich. „Möglich, dass wir den Sturz heil überstehen“, brummte ich und zwang mich, ruhig zu atmen. „Aber das hier ist ein Haus voller Menschen, und weder der Feueralarm noch die Sprinkleranlage haben angeschlagen. Jemand muss sie verhext haben. Wir müssen die anderen Bewohner warnen.“
Mouse fuhr herum und starrte mich einen Augenblick lang aufmerksam an. Dann trottete er in einem kleinen Kreis, schüttelte den Kopf, stieß einige hustende Geräusche aus und tat dann etwas, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte, seit er ein Welpe gewesen war, den ich bequem in die Manteltasche hatte stopfen können.
Er bellte.
Laut. Unaufhörlich. Wuff, wuff, wuff, mit der mechanischen Regelmäßigkeit eines Metronoms.
Wenn ich sage, er bellte, bekommen Sie vielleicht das Grundprinzip mit, nicht jedoch die Lautstärke. Jeder in Chicago weiß, wie sich eine Sturmwarnsirene anhört. Die sind im Mittleren Westen überall zu finden, vor allem in der Schneise, in der Wirbelstürme üblicherweise über den Kontinent ziehen. Sie heulen wie eine typische Sirene. Doch ich hatte einmal eine Wohnung besessen, die nur dreißig Meter von einer entfernt gewesen war, und mein Wort drauf, das Geräusch erreichte eine völlig andere Dimension, wenn man direkt daneben stand. Es war ein auf- und abschwellendes Heulen, das einem das Hirn im Schädel herumschleuderte, eine fast greifbare Flut mächtiger, fast schon lebendiger Schallkadenzen, wenn man sich so nahe an der Quelle befand.
Mouses Bellen fühlte sich genau so an – doch auf verschiedenen Ebenen. Ich schwöre Ihnen, jedes Mal, wenn er bellte, verkrampften sich meine Muskeln zuckend, als hätte man mir eine kleine Dosis Adrenalin gespritzt. Doch selbst ohne diese Energieschübe, die wie schwache Stromstöße durch meinen Körper jagten, hätte ich es auf keinen Fall geschafft, bei diesem Höllenlärm weiterzuschlafen. Er bellte zwölf Mal qualvoll laut und hielt dann inne. In der jähen Stille klingelten mir die Ohren.
Innerhalb von Sekunden vernahm ich ein Poltern im Stock über mir, bloße Füße, die sich aus Betten schwangen und nahezu synchron hart auf den Boden stampften, wie man es in einer Kaserne antrainiert bekam. Jemand brüllte in der Nachbarwohnung herum. Andere Hunde begannen zu kläffen. Kinder begannen zu heulen. Türen flogen auf.
Mouse setzte sich wieder, legte den Kopf schief, und seine Ohren zuckten bei jedem Geräusch.
„Herrjemine, Harry“, keuchte Elaine mit weit aufgerissenen Augen. „Ist das …? Wo hast du denn bitte einen echten Tempelhund aufgetrieben?“
„Äh. Jetzt, wo du es sagst, an einem Ort fast wie diesem.“ Ich wuschelte Mouse schnell hinter den Ohren und lobte: „Guter Hund!“
Mouse wedelte mit dem Schwanz und quittierte das Lob mit einem Grinsen.
Ich öffnete die Tür mit der Hand, die keine Waffe hielt, und linste in den Flur hinaus. Taschenlampen strichen hüpfend an mehreren Stellen durchs Dunkel, jede schnitt einen grellen Lichtkegel durch den dichter werdenden Rauch. Leute brüllten: „Feuer! Feuer! Alle raus!“
Auf dem Flur herrschte wildes Durcheinander. Ich konnte niemanden ausmachen, der offensichtlich wie eine lauernde Bedrohung aussah, doch die Chancen standen gut, dass mich die bösen Buben im Durcheinander mehrerer hundert Menschen, die aus dem Gebäude flohen, ebenfalls nicht entdecken würden, wenn ich niemanden sehen konnte.
„Anna, wo ist die Feuertreppe?“
„Äh. Da, wo alle hinrennen“, sagte Anna. „Rechts!“
„Gut“, sagte ich. „Hier ist der Plan. Wir folgen alle den anderen leicht entzündlichen Leuten aus dem Gebäude, ehe wir den Tod in den Flammen finden.“
„Wer auch immer das getan hat, wird draußen auf uns warten“, warnte Elaine.
„Kein sehr abgeschiedenes Plätzchen mehr für einen Mord“, sagte ich. „Aber wir werden auf der Hut sein. Mouse und ich zuerst. Anna, Sie direkt hinter uns. Elaine wird auf unsere süßen Hintern achtgeben.“
„Schilde?“, frage sie mich.
„Ja. Kannst du deinen Teil erledigen?“
Sie hob eine Braue.
„Klar“, sagte ich. „Was habe
Weitere Kostenlose Bücher