Harry Dresden 09: Weiße Nächte
ließ sich auf dem gespenstischen Abbild eines fahrenden Autos nieder. Plötzlich verdichtete sich das Bild, und das Auto wurde vollkommen sichtbar und gewann an Substanz.
„Hab dich!“, rief ich triumphierend. Ich schwebte näher an den Wagen, blieb über der hinteren Stoßstange gleichsam in der Luft stehen und konzentrierte mich auf den Fahrer.
Bei ihm aber blieb das geisterhafte Bild verschwommen. Verflixt! Die Verankerung meiner Magie lag in dem Auto, und es würde verdammt knifflig werden, den Fahrer genauer unter die Lupe zu nehmen, als ich es ohnehin schon tat. Vielleicht konnte ich weitere Kraft in den Spruch fließen lassen, um ein klareres Bild zu erhalten, doch ich wollte mir das als letzte Option aufsparen. Wenn ich es übertrieb, konnte es schrecklich in die Hosen gehen – außerdem würde es mir wahrscheinlich zu viel Kraft rauben, um die Verbindung länger aufrechtzuerhalten. Da war es schon besser, ein wenig in der Luft herumzuwabern und die Ohren zu spitzen. Es war bestimmt einfacher, Geräusche auszumachen, da das Auto, ja die ganze Stadt, die ich für genau diesen Zauber nachgebildet hatte, ja gleichsam als Resonanzkörper dienten.
Der Wagen hielt einen Katzensprung vom Park entfernt an. Der Park war V-förmig und gab sein Bestes, gleichzeitig Designergarten und Spielplatz zu sein. Jedesmal, wenn ich vorbeikam, sah es jedoch aus, als würden die Kinder gewinnen. Recht so! Niemand, der vier, sechs oder acht Jahre alt war, sollte irgendwelche Skrupel haben, weil sein Spielgebiet einem Landschaftsgärtner ein Dorn im Auge war, da es nicht zu seinen Idealvorstellungen aus der italienischen Renaissance passt. Hölle, ich war erwachsen, und nicht mal ich war mir sicher, ob ich mich einen Dreck um diese Ideale scherte.
Ich konzentrierte mich auf meinen Zauber, und die Geräusche der Nacht erwachten um mich herum zum Leben. Sie wurden immer lauter und kamen immer näher, das geisterhafte Flüstern schwoll zu ganz normalem Stadtlärm heran, als stünde ich tatsächlich dort. Straßenlärm. Eine Hupe in der Ferne. Der fast schon nicht mehr vernehmbare Ton von Reifen, die über den Asphalt des Highways in einer Meile Entfernung zischten. Das grillenartige Piepsen einer fernbedienten Zentralverriegelung. Für mich war es wie ein Orchester, das vor der Ouvertüre stimmte.
Schritte näherten sich eilig und selbstbewusst. Der Vorhang hob sich.
Die Beifahrertür des grünen Wagens öffnete sich, und eine zweite Schattengestalt gesellte sich zur ersten. Die Tür schloss sich fester, als erforderlich gewesen wäre.
„Bist du völlig wahnsinnig“, fauchte der Beifahrer, „hier einen Treffpunkt vorzuschlagen?“
„Was ist so falsch an diesem Ort?“, fragte Graumantel. Seine Tenorstimme klang weit entfernt, verwackelt, wie eine leicht verrauschte Radioaufnahme. Ein Akzent? Eventuell aus Osteuropa? Es war schwierig, Einzelheiten auszumachen.
„Das hier ist doch so ein verschissenes Viertel von weißen, brav christlichen Schnöseln“, knurrte der Beifahrer. Seine Stimme war tiefer, doch ähnlich schwer auszumachen. Er hatte nicht den geringsten Akzent. Er klang wie ein Nachrichtensprecher im Mittleren Westen. „Hier gibt’s private Wachdienste. Polizei. Falls jemand Alarm schlägt, haben wir in kürzester Zeit ganz schöne Schwierigkeiten.“
Graumantel lachte leise. „Genau deshalb sind wir sicher. Es ist spät. All die lieben Kleinen schlafen den Schlaf der fett Gemästeten und der Glücklichen. Niemand ist noch wach, um uns zu beobachten.“
Der andere sagte etwas Unhöfliches. Etwas flackerte auf dem Beifahrersitz. Wahrscheinlich hatte sich der Mann gerade eine Kippe angesteckt. „Nun?“
„Nein.“
„Nein?“, fragte der Beifahrer. „Keine Herde? Kein Magier? Was meinst du mit nein?“
„Beides“, sagte Graumantel. Seine Stimme wurde eiskalt. „Du hast beteuert, er hätte Angst vor Feuer.“
„Hat er auch“, sagte der Beifahrer. „Du solltest mal seine beschissene Hand sehen.“
Ich spürte, wie sich meine Linke zur Faust ballte, und das Knacken meiner Knöchel in meinem sehr realen Labor hallte durch die magische Simulation der Stadt.
Graumantels Kopf fuhr herum.
„Was?“, fragte der Beifahrer.
„Hast du das gehört?“
„Was gehört?“
„Etwas …“, sagte Graumantel.
Ich fühlte, wie ich den Atem anhielt und mich zwang, meine Finger zu entspannen.
Der Beifahrer sah sich um und grunzte dann verdrießlich. „Du hast Angst vor ihm. Das ist alles. Du hast ihn
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