Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)

Vergaser. Oder ein Kind mit Feuerwerkskörpern. Vielleicht dringt ein langer, gequälter Schrei aus der Wohnung über Ihnen zu Ihnen. Aber sie können ja nicht genau wissen, dass Ihr Nachbar seine Frau wieder einmal mit einem Nudelholz verprügelt. Außerdem geht es Sie ja nichts an. Die streiten sich doch ohnehin dauernd, und außerdem ist der Mann verdammt furchteinflößend. Klar wissen Sie, dass vor dem Nachbarhaus in einer Tour Autos vorfahren, und dass die Typen dort auch nicht gerade vertrauenerweckend aussehen, aber Sie haben nicht gesehen , dass er Drogen vertickt. Noch nicht mal an die Kinder, die dort aus und ein gehen. Es ist viel einfacher, sich im stillen Kämmerlein zu verziehen und den Fernseher anzuschalten.
    Wir sind alle Strauße, und die Welt um uns herum besteht aus Sand.
    Neulinge, die gerade erst einen Eindruck von der Welt der Magier und den eher unangenehmen Seiten des Übernatürlichen bekommen, sind immer der Meinung, es gebe eine gigantische Verschwörung, alles unter den Tisch zu kehren. Gibt es nicht. Wenn das Übernatürliche nicht gerade mit Pauken und Trompeten die Hauptstraße entlang marschiert, ist so eine Verschwörung auch überhaupt nicht nötig. Herrjemine, hie und da wundere ich mich echt, dass es überhaupt jemandem auffällt.
    Aus diesem Grund war ich mir auch sehr sicher, dass unsere Verhandlungen mit dem Archiv und den Denariern im Shedd Aquarium kein Aufsehen erregen würden. Klar war es mitten in der Stadt, nur einen Katzensprung vom Field Museum und dem Soldier Field Stadion entfernt, doch wenn man das Wetter in Betracht zog, war vermutlich kaum jemand zu Fuß unterwegs – und das Aquarium war außerdem saisonbedingt geschlossen. Vielleicht war eine Handvoll Leute vor Ort, um sich um die Tiere zu kümmern, doch ich war zuversichtlich, dass Kincaid Mittel und Wege zur Verfügung hatte, sie davon zu überzeugen, dass sie im Moment ganz woanders sein wollten.
    Murphy hatte ich ein Mietauto besorgt, da ihr eigener Wagen im Eimer war. Während der letzten paar Tage hatten sich durch den Schnee die Zusammenstöße gehäuft, sodass keine Kleinwagen mehr zu kriegen waren, also hatte sie einen silbernen Cadillac von der Größe einer Yacht bekommen, und nun saß ich neben ihr wie jemand in einem Western, der auf dem Bock neben dem Fahrer nach Banditen Ausschau hält. Hendricks und Gard saßen auf der Rückbank. Luccio hatte neben Gard Platz genommen und ihren schmalen Stab und das silberne Rapier zwischen ihren Beinen auf der Fußmatte abgestützt, und da mein eigener Stab noch um einiges länger war, hatte ich ihn zwischen die beiden vorderen Sitze gefädelt, von wo aus er an Gards Kopf vorbei bis zur hinteren Scheibe ragte.
    Arbeitstrupps der Stadtverwaltung hatten nach wie vor alle Hände damit voll, die wichtigsten Einrichtungen der Stadt erreichbar zu halten. Eine Touristenattraktion, die momentan ohnehin geschlossen war, tauchte in keiner Prioritätenliste besonders weit oben auf. Aus demselben Grund hatte auch das Field Museum wetterbedingt geschlossen, was wiederum bedeutete, dass es in einigen hundert Metern Umkreis keine einzige in Betrieb befindliche öffentliche Einrichtung gab.
    Das könnte uns noch Schwierigkeiten bereiten. Michael konnte seinen weißen Laster nirgends in der Nähe abstellen, ohne entdeckt zu werden. Er und Sanya würden also gut drei bis vier Minuten benötigen, um uns im schlimmsten Fall zu Hilfe eilen zu können, einmal vorausgesetzt, dass ich sie überhaupt irgendwie verständigen konnte. Sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, war das gleichbedeutend mit dem anderen Ende der Welt. Aber andererseits hatte das zumindest auch zu bedeuten, dass die Bösewichte ihrerseits keine Verstärkung herankarren konnten, ohne dass es jemandem auffiel.
    Selbstverständlich nur, wenn sie ebenfalls so höflich waren, in Autos vorzufahren.
    „Glas halb voll, Harry, Glas halb voll“, ermahnte ich mich selbst. Ein Kampf würde niemandem etwas nützen – zumindest jetzt noch nicht. Worauf Nikodemus auch immer aus war, er würde uns schon seine Forderungen stellen müssen, bevor sich ihm die Möglichkeit bot, uns in den Rücken zu fallen und uns das abzujagen, was er haben wollte. Wenn ich darüber hinaus bedachte, wozu das Archiv im Stande war, wenn es einmal loslegte, musste er schon einen ganz schönen Schuss haben, irgendetwas zu versuchen, während es in offizieller Mission agierte. Es reagierte äußerst kratzbürstig, wenn man seine Autorität in