Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
„Was hast du vor?“
„Ich werde herausfinden, warum das Biest in der Stadt ist“, sagte ich. „Da sind Ratsangelegenheiten am Brodeln – Himmel, Billy, ich wollte euch da nicht mit reinziehen!“ Ich musterte die Beamten, die um Kirbys Leiche herumstanden. „Ich habe nicht gewollt, dass so etwas passiert.“
„Kirby war erwachsen, Dresden“, sagte Billy. „Er wusste, worauf er sich einlässt, er war freiwillig dabei.“
Was stimmte, mir aber so gar nicht half. Kirby war tot. Ich hatte nicht gewusst, dass der Skinwalker einer war, ich hatte nur gewusst, dass etwas ganz Übles mich verfolgt hatte. Aber auch das änderte nichts an den Tatsachen.
Kirby war trotzdem tot, und Andi ... Himmel, daran hatte ich noch gar nicht gedacht: Kirby und Andi waren so verliebt gewesen. Sein Tod würde ihr das Herz brechen.
Wenn sie nicht schon vorher starb, ohne von seinem Tod zu erfahren.
Billy – ich schaffte es einfach immer noch nicht, ihn Will zu nennen – blinzelte sich Tränen aus den Augen. „Du hast nicht gewusst, was da auf uns zukommt, Mann. Jeder einzelne von uns verdankt dir sein Leben. Ich bin froh, dass wir für dich da sein konnten.“ Er wies mit dem Kinn auf die Polizisten. „Ich rede mit denen, dann gehe ich zu Georgia – und du verschwindest jetzt lieber.“
Wir drückten einander schweigend die Hand. Billys Händedruck fiel für meinen Geschmack vor lauter Kummer und Anspannung ein wenig zu kräftig aus. Ich nickte ihm noch ein letztes Mal zu, ehe ich mich abwandte. Auf der Straße gingen langsam wieder die Lichter an. Ich lief eine Seitengasse entlang und durch eine Gasse, die hinter einem alteingesessenen Buchladen verlief, in dem ich nicht mehr willkommen war. Dort in der Seitengasse gab es eine Stelle, wo ich einmal fast gestorben wäre. Auch diesmal durchlief ein Beben meinen Körper, als ich daran vorbeiging. An jenem Tag war ich der Sense des alten Mannes nur mit knapper Not entgangen.
Was Kirby nicht gelungen war.
Mein Kopf schien nicht ganz bei mir zu sein, meine Gefühle waren längst nicht so stark, wie sie im Grunde hätten sein müssen. Ich hätte eigentlich vor Wut zittern, mir hätten vor Angst sämtliche Knochen im Leib schlottern müssen, irgendetwas hätte ich nach dem eben Erlebten doch fühlen müssen. Aber mir war, als kauerte ich an einem kalten, fernen Ort und sähe von weither auf die Ereignisse in meiner Stadt. Das war seltsam, und ich konnte es mir nur so erklären, dass meine Konfrontation mit der wahren Gestalt des Skinwalkers bei mir Spuren hinterlassen hatte, dass ich unter Nebenwirkungen litt. Oder vielmehr: Ich litt nicht unter den Nebenwirkungen der direkten Konfrontation, sondern unter den Nebenwirkungen dessen, was ich hatte tun müssen, um diese Erfahrung zu verarbeiten.
Ich hatte keine Angst davor, dass sich der Skinwalker von hinten an mich anschleichen könnte. Oh, klar war ein solcher Versuch seinerseits möglich, aber kalt erwischen würde er mich nicht. Übernatürliche Kreaturen wie Skinwalker bündelten in sich so viel Macht, dass sich die Realität in ihrem Umkreis immer ein wenig verspannte. Das hatte eine Reihe von Nebenwirkungen zur Folge, zu denen auch eine Art übersinnlicher Geruch gehörte. Dieser Geruch würde mich warnen, meine Instinkte wachrütteln, noch ehe der Skinwalker so nahe an mich herangekommen war, dass er mir schaden konnte.
Wenn Sie Lust haben, lesen Sie doch ruhig mal ein paar Märchen und Volkssagen. Nicht das Zeug, das Disney und seinesgleichen auf niedlich getrimmt haben – die richtigen Geschichten. Mit den Gebrüdern Grimm können Sie anfangen. Die erzählen Ihnen zwar nichts von Skinwalkern, aber Sie kriegen einen guten Einblick in die Unergründlichkeit einiger Volksmärchen.
Gut, bei den Gebrüdern Grimm finden Sie finstere Gestalten, aber Skinwalker waren im Vergleich dazu noch um einiges makaberer. Wenn es Sie wirklich interessiert, wenn Sie an den richtig deftigen Storys interessiert sind, dann sollten Sie sich mit den Mythen der Navajo, der Ute und anderer Völker des amerikanischen Südwestens befassen. Mit den ursprünglichen Geschichten, wohlbemerkt, nicht mit irgendwelchen weichgezeichneten Nachdichtungen. Gern sprach man allerdings bei den amerikanischen Ureinwohnern nicht über die Skinwalker, machte doch die echte, ganz und gar rationale Panik, die diese Erzählungen weckten, diese Wesen nur noch stärker. Gerade Fremden erzählten die Stämme nur ungern vom Skinwalker, denn nur wer über eine solide
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