Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
verfügten über eine Schulterhöhe von gut einem Meter und sahen aus wie einem Godzilla-Film entsprungen. Die klobigen, aus Stein gehauenen Gestalten saßen völlig reglos da – aber ich wusste genau, dass sie im Handumdrehen sehr lebendig und sehr gefährlich werden konnten. Einen Augenblick lang versuchte ich, mir eine Konfrontation mit zwei aggressiven Tempelhundstatuen in einem relativ engen Tunnel vorzustellen und beschloss, in so einem Tunnel lieber mit einem entgegenkommenden S-Bahnzug zu kollidieren, weil einem das zumindest ein rasches Ende garantierte.
Immer wieder blieb ich stehen, um mit den Wachhabenden ein paar höfliche Worte zu wechseln, aber endlich hatte ich auch den letzten Kontrollpunkt passiert, woraufhin ich mich im eigentlichen Hauptquartier befand. Dort zog ich erst einmal eine zusammengefaltete Karte aus der Tasche, studierte sie mit zusammengekniffenen Augen und versuchte, mich zu orientieren. Der Aufbau des Tunnelsystems war komplex, man konnte sich hier nur allzu leicht verlaufen.
Wo also sollte ich anfangen?
Wäre der Torwächter in der Nähe gewesen, hätte ich ihn als Ersten aufgesucht, hatte Rashid doch bei mehr als einer Gelegenheit gezeigt, dass er auf meiner Seite stand und ich auf ihn als Verbündeten zählen konnte. Warum das so war, wussten allerdings die Götter. Mit dem Merlin stand ich wahrlich auf keinem guten Fuß. Martha Liberty und Lauscht-dem-Wind kannte ich kaum, und die ehrwürdige Mai war in meinen Augen eine ziemlich furchterregende kleine Person. Blieb eigentlich nur Ebenezar.
Also machte ich mich auf in die Einsatzzentrale.
Wozu ich eine gute halbe Stunde brauchte, denn das Tunnelsystem ist, wie bereits erwähnt, enorm groß und verschachtelt. Noch dazu kam es mir jetzt, nachdem der Krieg die Reihen des Rates so stark ausgedünnt hatte, einsamer und leerer vor denn je. Ganze Minuten lang hörte ich nichts als das Echo meiner Schritte, das hohl von den Steinwänden widerhallte.
Ich fühlte mich auf meinem Weg durch die geheimen Hallen nicht sonderlich wohl. Höchstwahrscheinlich lag das am Geruch dort unten. Als ich ein junger Mann gewesen war und man mich vor den Rat geschleift hatte, um wegen eines Verstoßes gegen das erste Gesetz der Magie Anklage gegen mich zu erheben, hatte man mich nach Edinburgh gebracht. Einen ganzen Tag lang hatte ich in Fesseln und mit einer Kapuze über dem Kopf in einer Zelle warten müssen und außer diesem feuchten mineralischen Geruch, der mir auch jetzt wieder in die Nase drang, fast nichts wahrnehmen können. Ich erinnerte mich noch allzu gut, wie schrecklich kalt mir gewesen war, welche Schmerzen meine völlig verspannten Muskeln ausstrahlten, nachdem ich stundenlang an Händen und Füßen gefesselt gewesen war. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so allein gefühlt wie damals, als ich abwarten musste, was als Nächstes mit mir passieren würde.
Ich war damals sechzehn gewesen und hatte unendliche Angst gehabt.
In den Tunneln hing immer noch derselbe Geruch. Deutlich genug, um mir die dunkelsten Stunden meines Lebens in Erinnerung zu rufen, dafür zu sorgen, dass sie sich in meinen Gedanken ganz nach vorn drängten. Psychologische Geisterbeschwörung sozusagen.
„Ja, ja, das liebe Hirn!“, spottete ich leise.
Wenn man nicht verhindern konnte, dass schlechte Gedanken einen heimsuchten, dann konnte man sich, wo sie doch schon mal da waren, wenigstens über sie lustig machen.
Aus irgendwelchen logisch nicht ganz nachvollziehbaren Gründen hatte der Rat die Einsatzzentrale zwischen den zentralen Räumen des Ältestenrates und den Baracken der Wächter angesiedelt, zu denen auch eine kleine Küche gehörte. Durch die muffige Feuchtigkeit des Tunnels drang mit einem Mal der Duft frisch gebackenen Brotes, was mich unwillkürlich schneller gehen ließ.
Höchstwahrscheinlich standen die Kasernen, an denen ich vorbeikam, zum größten Teil gerade leer. Die meisten Wächter waren unterwegs, um Morgan zu jagen, was ja auch schon die sehr rudimentäre Besetzung an Chandlers Posten gezeigt hatte. Ich hielt mich an der nächsten Kreuzung links, nickte dem jungen Posten dort kurz zu und betrat die Einsatzzentrale des Weißen Rates.
Das Gewölbe war geräumige dreißig Quadratmeter groß, wobei allerdings die schweren Säulen und Bögen, auf denen die Decke ruhte, viel Platz in Anspruch nahmen. Es war heller als in den Tunneln, denn die Kristalle, die im gesamten Komplex für Licht sorgten, leuchteten hier stärker, um das
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