Harry Dresden 14 - Eiskalt: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 14 (German Edition)
konnte.
Ich vergaß für einen Moment, wie man sprach, während ich das Bild aus meinem Vorderhirn verdrängte. Dann zwang ich mich wegzusehen, hinauszublicken auf das Wasser des Sees. Ich lehnte mich auf das Geländer, umklammerte es mit den Händen. Ich fürchtete, sie könnten etwas Dummes anstellen, wenn sie nichts zu tun hatten. Mit einem reinigenden Atemzug schaltete ich mein Sprachzentrum wieder ein. „Ich bin nicht der Einzige, der sich an diesem Tag veränderte.“
Ich spürte ihren Blick auf mir, während sie mein Gesicht genau betrachtete. Ich bekam das Gefühl, sie wisse ganz genau, was ich gerade gespürt hatte. „Das ist wahr“, flüsterte sie. „Aber wir haben unsere Entscheidungen getroffen, nicht? Jetzt sind wir, wer wir sind. Es tut mir leid, wenn ich dir Unbehagen bereitet habe.“
„Was? Eben?“
Aus dem Augenwinkel sah ich sie nicken. „Vor einem Augenblick hast du mich angesehen. Ich habe genau diesen Gesichtsausdruck schon einmal gesehen.“
„Slate.“
„Ja.“
„Nun“, brummte ich. „Ich bin nicht Slate. Ich bin kein Schoßmonster, das Mab schuf, um damit zu spielen.“
„Nein“, sagte Lily bekümmert. „Du bist eine Waffe, die Mab schuf, um Kriege zu gewinnen. Du Armer. Du hattest so ein gutes Herz.“
„Hattest?“, fragte ich.
„Es ist nicht länger deins“, flüsterte Lily.
„Dem widerspreche ich“, sagte ich. „Heftig.“
„Was ist mit dem Verlangen, das du vor einem Augenblick spürtest?“, fragte sie. „Kam dieser Impuls aus deinem Herzen, Herr Ritter?“
„Ja“, sagte ich einfach.
Lily erstarrte für eine Sekunde, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
„In jedem steckt etwas Schlechtes“, sagte ich. „Es ist mir einerlei, wie sanft, heilig, ehrlich oder hingebungsvoll du bist. Auch in dir gibt es Minderwertiges. Leidenschaft. Gier. Gewalt. Du musst keine böse Königin sein, um das geschehen zu lassen. Das ist ein Teil von jedem. Vom einen mehr, vom anderen weniger, aber es ist immer da.“
„Du willst mir sagen, du seist von Anfang an so böse gewesen?“, fragte Lily.
„Ich meine, ich hätte es sein können“, sagte ich. „Ich wählte etwas anderes, und ich werde weiter etwas anderes wählen.“
Lily lächelte und sah zurück auf den See. „Du wolltest mit mir über Fix sprechen.“
„Ja, Fix“, sagte ich. „Er hat mir im Prinzip bis zum Mittag gegeben, um die Stadt zu verlassen, oder wir schießen es am OK Corral aus. Ich habe zu tun. Ich habe keine Zeit, die Stadt zu verlassen. Aber ich will nicht, dass einer von uns Schaden nimmt.“
„Was soll ich tun?“
„Sag ihm, er soll sich zurückhalten“, sagte ich, „und sei es nur für ein paar Tage. Es ist wichtig.“
Lily neigte den Kopf. „Ich bedauere, das sagen zu müssen, Herr Ritter. Aber nein, das werde ich nicht tun.“
Ich versuchte, nicht geräuschvoll mit den Zähnen zu knirschen. „Wieso nicht?“
Sie musterte mich erneut mit durchdringend grünen Augen. „Kann das sein?“, fragte sie. „Kann es sein, dass du schon so weit gekommen bist, dich deiner gegenwärtigen Gesellschaft so angeschlossen hast, ohne zu bemerken, was vor sich geht?“
„ Ä h“, sagte ich stirnrunzelnd. „Du meinst hier, heute?“
„Ich meine hier“, sagte Lily. „In unserer Welt.“
„Ja, äh. Vielleicht hast du es nicht gehört, aber ich war kaum in unserer Welt in letzter Zeit.“
Lily schüttelte den Kopf. „Die Teile liegen alle direkt vor dir. Du musst sie nur zusammenfügen.“
„Geht’s noch ungenauer?“, fragte ich. „Warum sagst du mir nicht einfach, wovon zur Hölle du redest?“
„Wenn du es weißt, gibt es keinen Anlass zu sprechen. Wenn nicht, werden noch so viele Worte dich nicht überzeugen. Einige Dinge muss man selbst begreifen.“
Ich gab einen angewiderten Ton von mir und spie in den See. Nehmt das, ihr lauernden Leibwächter! „Lily“, sagte ich. „Schau, das ist nicht schwierig. Fix steht kurz davor, mich anzugreifen. Ich will ihm nicht wehtun. Deshalb kam ich in Frieden, um es auszudiskutieren. Was habe ich getan, um dich davon zu überzeugen, dass ich eine Art psychotischer Verrückter bin, dem man nicht vertrauen kann?“
„Du hast nichts getan“, sagte Lily. „Es ist nichts, worüber du die Kontrolle hattest. Du wusstest es nicht.“
Bei diesen Worten warf ich die Hände empor. „Was wusste ich nicht?“
Lily runzelte die Stirn und musterte mich mit von Sorge geprägter Miene. „Du ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Gott, Harry. Du
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