Harry Dresden 14 - Eiskalt: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 14 (German Edition)
batteriebetriebene Schreibtischlampe verbreitete nun dämmriges, aber ausreichendes Licht.
Mein Bruder war nur einen Hauch kleiner als einen Meter achtzig. Er sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte: dunkles, glänzendes Haar fiel auf seine Schultern. Seine Haut war noch heller als meine. Seine Augen waren sturmwolkengrau, auch wenn sie in diesem Augenblick heller aussahen, voller metallisch glänzender Sprenkel, die seine Aufregung und seine Wut verrieten. Wir hatten das gleiche Stirnrunzeln, die gleichen gefühlstiefen Augen, und sein Mund war zu einem lautlosen Knurren verzogen, während er mich anstarrte. Er trug eine Jeans, und das war’s. Die Koje der Kabine war heruntergeklappt und benutzt. Ich hatte ihn geweckt, als ich an Bord ging. In der rechten Hand hielt er einen Metallhering. Erde und Rost waren daran. Konnte man im Hirn Wundbrand bekommen?
„Oh“, sagte Molly. Sie starrte Thomas einen Augenblick lang an. „Oh, äh m. Meine Güte.“
Oh, ich vergaß zu erwähnen: Mein Bruder war die Art Mann, der Frauen nachliefen. In Jagdrudeln. Ich würde sagen, er war schön wie ein Model, nur dass es, soweit ich wusste, keine Models gab, die so schön waren wie er. Seine Muskeln bewegten sich auch in kleinen Wellen, wenn er reglos und entspannt war, und das war vollkommen unfair.
Außerdem ... ich liebäugelte normalerweise nicht viel mit mir selbst im Spiegel, aber ich bemerkte plötzlich, dass er irgendwann in den letzten Jahren aufgehört hatte, wie mein älterer Bruder auszusehen. Er sah jugendfrischer aus als ich. Magier konnten sehr lange leben, aber wir sahen dabei nicht jugendlich aus. Thomas war Vampir. Er würde so gut aussehen, bis er endgültig starb.
Der Kerl trainierte kaum, aß, was immer er wollte, und durfte so gut und auch Zeit seines Lebens so jung aussehen. War das fair?
„Du kannst nicht mein Bruder sein“, sagte Thomas. „Harry ist tot. Weißt du, woher ich das weiß?“
„Thomas“, begann ich.
„Weil mein Bruder mich kontaktiert hätte“, fauchte Thomas. „Wenn er lebte, hätte er mich kontaktiert. Er hätte es mich wissen lassen.“
Molly zuckte zusammen und sah weg, als hätte sie ein sehr lautes und unangenehmes Geräusch gehört. Ich war nicht so sensibel gegenüber den Empfindungen anderer wie Molly, aber ich musste das auch nicht sein, um zu wissen, dass Thomas in Reaktion auf meinen Anblick überkochte.
„Tut mir Leid, Harry“, sagte Molly. „Ich kann nicht ... es tut weh.“
„Geh“, sagte ich leise.
Sie nickte und zog sich an Deck zurück, schloss die Tür hinter sich.
Mein Bruder blieb, wo er war und starrte mich an. „All die Zeit“, sagte er. „Kein Wort.“
„Ich war tot“, flüsterte ich. „Oder zumindest beinahe. Vermutlich kann man es mit einem Koma vergleichen. Zur Hölle, selbst ich dachte, ich sei tot.“
„Wann bist du erwacht?“, fragte er. Seine Stimme klang sorgfältig neutral.
„Vor etwa drei Monaten“, sagte ich. „War nicht in guter Verfassung. Seither erhole ich mich.“
„Drei Monate“, sagte er. „Gab es dort keine Telefone?“
„Tatsächlich nicht. Eine Weile war ich in einer Höhle auf der Insel. Dann Arctis Tor.“
„Du hattest keine M öglichkeit, Kontakt aufzunehmen?“, fragte er ruhig. „Du?“
Schwere Stille sank herab. Thomas wusste, was ich konnte. Wenn ich jemandem eine Nachricht übermitteln wollte, konnte ich im Allgemeinen dafür sorgen, dass er sie auch bekam – auf verschiedenste Weise.
„Was möchtest du hören?“, entgegnete ich. „Ich hatte mich verkauft, Thomas.“
„Ja, als du dir den Rücken verletzt hattest. Das hast du uns gesagt. Wegen Maggie. Um sie sicher nach Hause zu schaffen.“
„Richtig.“
Er schwieg für eine Sekunde. Dann sagte er: „Verdammte Nacht, wieso habe ich das nicht früher gemerkt? Nachdem sie in Sicherheit war, hast du versucht, dich umzubringen, richtig?“
Ich schnaubte durch die Nase. „Sowas in der Art.“
Er schüttelte für mehrere Sekunden schweigend den Kopf. Dann atmete er tief ein, sah mich an und sagte: „Du. Schwachkopf.“
„He“, sagte ich.
„Du. Idiot.“
„Verdammt, Thomas“, sagte ich. „Ich habe mein Leben nicht so gelebt, um zuzusehen, wie man mich zu ...“ Ich brach plötzlich ab und sah weg.
„Zu was, Harry?“, fragte er. „Sag es.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Aus der Schlinge kommst du nicht mehr raus, Brüderchen“, sagte Thomas. „Sag es.“
„Zu einem Monster machte“, blaffte ich.
„Genau“,
Weitere Kostenlose Bücher