Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
es richtig fanden, schmutziges Geld anzunehmen. Töchter, die so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, dass sie sich gar nicht die Mühe machten, sich umzusehen und zu erkennen, dass auch andere Menschen litten.
    Faith spürte einen Windstoß in den Haaren, als sie die Einfahrt ihrer Mutter erreichte. Auf der Straße stand, direkt vor dem Briefkasten, ein schwarzer Van. Die Fahrerkabine war leer, zumindest soweit Faith das sehen konnte. Hinten gab es keine Fenster. Die eine Seite war von Kugeln durchlöchert. Das Nummernschild war unauffällig. Auf der Chromstoßstange klebte ein ausgebleichter Obama/Biden-Sticker.
    Sie hob das gelbe Polizeiband an, das die Einfahrt absperrte. Evelyns Impala stand noch im Carport. Auf dieser Einfahrt hatte Faith Himmel und Hölle gespielt. Sie hatte Jeremy beigebracht, wie man einen Basketball in den verrosteten, alten Ring warf, den Bill Mitchell an die Dachtraufe geschraubt hatte. In den letzten Monaten hatte sie Emma fast täglich hier abgeliefert und ihrer Tochter und ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange gedrückt, bevor sie zur Arbeit fuhr.
    Faith packte die Griffe der Tasche fester, als sie den Carport betrat. Sie schwitzte, und der kühle Luftzug im überdachten Bereich ließ sie frösteln. Sie schaute sich um. Die Schuppentür stand noch immer offen. Es war kaum zu glauben, dass Faith erst vor zwei Tagen Emma in diesem kleinen Gebäude gefunden hatte.
    Sie drehte sich dem Haus zu. Die Küchentür war eingetreten worden und hing schief in den Angeln. Sie sah den blutigen Handabdruck, den ihre Mutter hinterlassen hatte, die freie Stelle, wo eigentlich ihr Ringfinger gegen das Holz hätte drücken müssen. Mit angehaltenem Atem schob Faith die Tür auf und erwartete, gleich ins Gesicht geschossen zu werden. Sie schloss sogar die Augen. Nichts passierte. Vor ihr lag die leere Küche, und überall war Blut.
    Als Faith vor zwei Tagen das Haus betreten hatte, war sie so darauf fixiert gewesen, ihre Mutter zu finden, dass sie gar nicht wirklich registriert hatte, was sie sah. Jetzt begriff sie, was für ein heftiger Kampf hier stattgefunden haben musste. Sie hatte bereits einige Tatorte bearbeitet und wusste, wie Kampfspuren aussahen. Auch wenn die Leiche schon längst aus der Wäschekammer entfernt war, konnte sie sich noch an die Lage des Mannes erinnern, was er getragen hatte, und auch, wie seine Hand ausgebreitet auf dem Boden gelegen hatte.
    Will hatte ihr den Namen des Jungen gesagt, aber daran konnte sie sich nicht erinnern. Sie konnte sich an keinen von ihnen erinnern– weder an den Mann, den sie im Schlafzimmer erschossen hatte, noch an den Mann, den sie in Mrs. Johnsons Hinterhof erschossen hatte.
    Faith wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Küche zu. Die Durchreiche war leer. Sie konnte direkt in den Flur sehen. Es war mitten am Nachmittag, aber im Haus schien Dämmerung zu herrschen. Die Türen zu den Schlafzimmern waren geschlossen. Die Jalousien an den großen Fenstern links und rechts der Haustür waren heruntergelassen. Das einzige ungefilterte Licht kam vom Badefenster. Die Jalousie war offen. Faith ging am Esszimmer vorbei in die vordere Diele. Sie stand zwischen der Küche links von ihr und dem Flur rechts. Das Wohnzimmer lag direkt vor ihr. Sie sollte die Waffe ziehen, aber sie glaubte nicht, dass sie sie erschießen würden. Zumindest jetzt noch nicht.
    Im Zimmer war es dämmerig. Die Vorhänge waren zugezogen worden, aber sie waren ein wenig lichtdurchlässig. Eine sanfte Brise bewegte den Stoff vor dem Loch in der Glastür. Im Zimmer war noch immer alles durcheinandergeworfen. Faith konnte sich nicht erinnern, wie es zuvor ausgesehen hatte, obwohl sie achtzehn Jahre ihres Lebens hier verbracht hatte. Die überquellenden Bücherregale an der linken Wand, die gerahmten Familienfotos, die Stereoanlage mit den knisternden Lautsprechern, der Ohrensessel, in dem ihr Vater zum Lesen gesessen hatte. Jetzt saß Evelyn darin. Die linke Hand war in ein blutdurchtränktes Handtuch gewickelt. Ihre rechte Hand war so geschwollen, dass sie auch einer Marionette gehören könnte. Zwei Besenstiele waren mit Isolierband an ihrem Bein befestigt, sodass sie es von sich wegstrecken musste. Ihre weiße Bluse war voller Blutflecken. Ihre Haare klebten seitlich an ihrem Kopf. Ein Stück Isolierband bedeckte ihren Mund. Sie riss die Augen auf, als sie Faith sah.
    » Mama«, flüsterte Faith. Das Wort hallte ihr durchs Gehirn und beschwor all ihre Erinnerungen der

Weitere Kostenlose Bücher