Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
Vom Netzwerk:
Stangen. Auf vielen wehte, zerzaust vom Präriewind, das amerikanische Banner. Der Soldatenberuf war eine Hauptbeschäftigung dieser toten Sioux gewesen, sie waren Krieger geblieben. Marines lagen hier in der Erde, Infanteristen, Purple-Heart-Träger. Sie hießen Iron Cloud, Little Chief, Two Bears – und mit Vornamen Patrick, Philip, Eugene. In allen Kriegen sind sie gefallen, die Amerika in neuerer Zeit führte. Erster Weltkrieg. Zweiter Weltkrieg. Korea. Vietnam. Irak.
    Der Junge stand plötzlich da. Er wollte mir etwas zeigen. Ein alter Revolver, in ein schmutziges Tuch gewickelt. Er schlug es auf und nannte den Preis. Als er mich zögern sah, legte er etwas Munition dazu. Er war aus dem Reservat und brauchte Geld, wofür, ging mich nichts an. Ich dachte an die Wölfe und Berglöwen, durch deren Revier ich bald wieder zu Fuß gehen würde, und daß es nicht schaden könnte, etwas gegen sie in der Hand zu haben. In einer Minute war der Handel abgeschlossen. Ich legte das kleine Bündel auf den Beifahrersitz und fuhr weiter.
    In die Prärie gestreut waren auch die Siedlungen der Indianer, darin glichen sie den Friedhöfen. Normhäuser und
trailer homes
, umgeben von Autos, Autowracks, Spielzeug und allen möglichen anderen Dingen. Ichfand eine Bar, sie trug einen pompösen Namen, etwas mit «Great Sioux», aber sie war nur eine Saufkneipe in einem elenden, staubigen Reservatskaff. Ich bestellte einen Kaffee und trank ihn vor einem alten Foto an der Wand, einem Gruppenbild, aufgenommen in New York City am 15.   Oktober 1888.
    Die Regierung lud hin und wieder Häuptlinge aufsässiger Stämme ein, damit diese sich von der Überlegenheit des weißen Mannes und seiner Werke ein Bild machen und von der Vergeblichkeit ihres Widerstandes überzeugen konnten. Bei einer solchen Exkursion in die Zukunft war das Foto aufgenommen worden, dessen soundsovielte, jedesmal gröbere Kopie hier an der Wand der Reservatsbar hing. Da standen sie nun, Krieger, Häuptlinge, Medizinmänner, mitten in der Wall Street in Manhattan. Bear’s Rib und Thunder Hawk, High Eagle und Mad Bear, Walking Eagle und Fire Heart, allesamt Sioux aus dem Standing-Rock-Reservat, von hier also, wo ich jetzt ihre verbleichenden Bildschatten betrachtete, meinen Kaffeebecher in der Hand. Und dicht bei ihnen standen White Ghost und Little No-Heart, beide aus dem Reservat der Cheyenne. Und Ugly White Horse, Pretty Eagle und Sky Bull, Oglala-Sioux aus dem Rosebud-Reservat, das ich morgen erreichen würde, vielleicht schon heute. Nur einer erlaubte sich eine Extravaganz. Als einziger Indianer auf dem Bild ging er wie die Weißen gekleidet. Ein Sakko trug er, seine Beine steckten statt in Leder in Bügelfalten, und in der Hand hielt Mister Sitting Bull einen hohen, hellen Hut, wie ein Gentleman auf Reisen. Alle anderen standen wie hingestellt, und das waren sie auch,Mann an Mann, kerzengerade, starr. Aber nicht so sehr der Anblick dieser vorgeführten Männer, dieser Strecke Wild auf der Wall Street, faßte mich an. Es waren die Namen!
    Feuerherz. Klein-Kein-Herz. Himmelsstier.
    Der Hohe, der Schöne, der Schreitende Adler.
    Häßlicher Schimmel.
    Weißer Geist.
    Allein ihre Namen, konnte man das begreifen, ließen eine wilde Trauer auflodern, welche die Truppen der Vernunft, die gleich herbeieilen in solchen Momenten, nicht sofort und restlos niederzuschlagen vermochten. O ja, das Neue hatte gesiegt, das um so vieles leichtere, uns erleichternde Neue, auch für mich hatte es gesiegt mit meiner Kreditkarte und in meinem roten Pickup, ich wußte es wohl und kannte die Einwände: O nein, sprach die Frau Vernunft, das Alte ist nicht das Bessere gewesen, nur Machos und sentimentale Idioten glauben das. Aber vielleicht das Schönere, sagte ich. Was hat es geholfen, fragte sie sanft. Nichts, sagte ich, und sie: Sich gegen das Neue zu stemmen, ist trotzig und dumm. Sei kein dummer Junge, sei gescheit. Schon gut, sagte ich, es klang müde. Aber die Verluste sind groß, auch wenn du das nicht verstehst.
    Aus der Finsternis der Bar löste sich jetzt ein betrunkener Indianer, und was er redete, war das Schnorrerzeug, das er immer redete, wenn er Beute witterte, einen wie mich. So effektvoll, wie es ihm noch möglich war, stellte er sich mit seinem Lakota-Namen vor. «Weißt du, was das heißt?» Ich wußte es nicht, es war mir egal. Nun wollte er meinen Namen, ich warf ihn hin, erschnappte ihn auf, wiederholte ihn lallend, sagte, das sei ein guter, im Grunde ein Indianername

Weitere Kostenlose Bücher