Hartmut und ich: Roman
Trödel befreit, einen blauen Teppich verlegt, Blumen auf die Fensterbänke gestellt, einen Duftstecker in die Steckdose gepackt und die Fenster geputzt. Und er hat Erfolg.
Seit drei Wochen kommen die Leute nun schon zu den Sitzungen, selbst Hans-Dieter schaut ab und zu vorbei. Ich stehe manchmal am Rand und beobachte, bringe den Kursteilnehmern und Hartmut was zu trinken oder schließe das Fenster, wenn jemand das verlangt. Ich sehe Hartmut in seinem Element, und es macht mir Freude zu beobachten, wie er in seiner Aufgabe aufgeht, einer Aufgabe, die er selbst erfunden hat und die auch noch funktioniert.
Zehn Leute sind heute da. Das Sonnenlicht dringt angenehm gedämpft durch die neuen Bambusrollos, und in der Anlage läuft Panflöten-Musik. Die Teilnehmer stehen auf ihren dünnen Matten und machen Vorbeuge, halbe Hebung, Liegestütz und Krieger-1-Yoga-Bewegungen. Plötzlich sagt Hartmut: »So, und jetzt achtet darauf, dass ihr im Krieger alles schön schludrig macht. Das vordere Bein nicht heldenhaft beugen, sondern genauso unschlüssig zwischen ›ein bisschen gebeugt‹ und ›gestreckt‹ hin- und herzittern lassen, wie es sich anfühlt. Den Rücken schön krumm, den Oberkörper ruhig hinten lassen. Seid unperfekt, macht die Bewegungen unsauber! Jaaa, so ist gut.« Die Sekretärinnen, Kaufmänner, Schreiner und Anglistik-Studenten brechen sich einen ab, schludern sich durch die Bewegung und grinsen. Ein junger Mann ganz hinten fängt plötzlich an, wie ein Helikopter mit den Armen zu rudern und »pffffrrrruuuuum!« zu machen, setzt sich dann an die Wand und öffnet erst mal ein Bier. Hartmut jubelt: »Jaaaaa! Jaaa! Ein bisschen sehr übermütig, aber tendenziell genau das, wo ich hinwill! Super!« Die Beteiligten drehen sich aus der Krieger-Haltung mühsam nach hinten und beginnen zu lachen. Einer kippt um und bleibt auf der Seite liegen wie eine Schildkröte. Hartmut hat Erfolg.
Die Idee zu seinem Club kam Hartmut eines Abends beim Playstation-Spielen. Seit Stunden hatten wir versucht, Rollcage zu knacken, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Das schwerste Action-Rennspiel der Programmiergeschichte ließ uns nicht los. Irgendwann gegen Mitternacht bretterte ich durchs Ziel, die tödlichen Kanten und Absturzecken hatte ich bei Tempo 360 millimetergenau umschifft, die Siegesmelodie ertönte, meine schwitzigen Hände ließen das Joypad sinken, und ich sah Hartmut erstaunt aus dem angefressenen Sessel an.
»Wie hast du das denn jetzt gemacht?«, fragte Hartmut.
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Bin einfach drauflosgeschossen. Hab nicht mehr gedacht dabei.«
»Einfach so?«
»Ja.«
»Ohne Konzentration? Ohne Präzision? Ohne Bewusstheit?«
»Einfach so«, sagte ich stolz. »Scheiß drauf, einfach so!«
Hartmuts Augen leuchteten. Es war dieses Leuchten, das eintritt, wenn in Hartmut eine neue Idee entsteht. Die bläulich flimmernden Credits des Abspanns reflektierten in seinen Augen, rasende Wiederholungen meiner Siegesfahrt.
»Das ist es!«, sagte er dann. »Das ist es! Seien Sie unperfekt! Scheißen Sie auf Präzision! Machen Sie es falsch! Einfach so!« Er erhob sich aus dem Sessel und begann, mit der Hand am Kinn auf dem Flokati im Kreis zu laufen. Wenn er sprach, richtete er den Zeigefinger auf mich oder wedelte mit ihm vor seiner Nase herum, bevor er ihn zum Denken wieder am Kinn platzierte, die Arme verschränkt. Ich fühlte mich wie bei Columbo. »Verstehst du, was ich meine?«, sagte er. »Die Leute sollen immer überall perfekt sein. Am Arbeitsplatz, zu Hause, selbst in der Freizeit. Diese ganzen Bücher über Selbstmanagement. Selbst der Büromann im kleinsten, stinkenden Hinterhof-Getränkehandel-Kabuff muss sich heutzutage Gedanken darüber machen, ob sein Büro auch gut genug organisiert ist, aufgeräumt, reduziert, alles an seinem optimalen Platz. Schon Schüler planen ihre Hausaufgaben nach Zeitmanagement-Büchern. Und dann das Bewerbungen-Schreiben. Hast du mal in diese Ratgeber und Karrieremagazine gesehen, worauf man da alles achten muss? Da kannst du Einstein sein, aber wenn du deine Blätter nicht so und so ausgedruckt und dieses und jenes Clip-Mäppchen hast, ungetackert, versteht sich, und ohne ›Betreff: ‹ in der Betreffzeile, dann bist du draußen! Draußen!« Hartmut wischte mit seinem Arm einmal durch den Raum und schrie fast aggressiv, als wolle er seine Empörung über diese darwinistischen Machenschaften in Lautstärke umwandeln. »Die Leute werden total bekloppt gemacht!«, rief
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