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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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werdet nicht aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Wer möchte anfangen?« Der Student meldet sich, geht nach vorne, spritzt sich eine Runde Ketchup auf sein Hemd und schaut stolz in die Runde. Dann setzt er sich wieder, diesmal auf die Fensterbank, um die Symmetrie zu durchbrechen und nicht erwartbar an seinen alten Platz zurückzugehen. Während er sich hinsetzt, stößt er eine kleine Gießkanne von der Fensterbank. Altes Wasser läuft auf den Teppich. Diese kleinen Fortschritte machen Hartmut glücklich. Er grinst anerkennend. »Und nun du, Margot!«, sagt Hartmut und winkt die Sekretärin mit der weißen Bluse und der sandfarbenen Hose zu sich. Sie sträubt sich ein wenig. Es muss schon schwer für sie gewesen sein, in ihrem beruflichen Outfit unperfektes Yoga zu machen und die gut gebügelten Sachen voll zu schwitzen, aber das jetzt muss für sie werden wie die berühmte Krabbel-Schock-Therapie bei Spinnenangst. Ich überlege mir langsam, RTL II einzuladen und den Kurs heimlich filmen zu lassen. Margot tapst schüchtern nach vorne, hockt sich vor Hartmut und hebt fast reflexartig die Arme zur Abwehr, als er die ganz harten Geschütze auffährt. Zuckerrübensirup. Das scheint zu viel für sie. »Nein, nein, das können Sie … das kannst du nicht … «
    »Psssssssst!«, macht Hartmut, nimmt ganz zart ihre Hand in seine und pinselt mit der anderen ein wenig von der klebrigen schwarzen Flüssigkeit auf die Bluse. Margot zittert und weint fast, aber es ist dieses Patienten-Weinen, wenn der Therapeut Fortschritte macht, und als Hartmut fertig ist, öffnet sie langsam ihre Augen und sieht ihn dankbar an. Unsicher wankt sie zu ihrem Platz zurück und schweigt erst mal. Hans-Dieter aus dem Anbau hat weniger Probleme mit der ganzen Sache. Munter geht er nach vorne, klatscht sich Motoröl auf seine Jeans, rülpst einmal und sagt laut: »Wissen Sie was, Chef, ich scheiße darauf, wieder und wieder Ihren Computer zu reparieren! Wer so mit seinem PC umgeht wie Sie, ist sowieso nicht mehr zu retten. Gehen Sie zum Teufel und ficken Sie seine gehörnte Schwester! Prost!« Dann nimmt er eine Flasche Ja!-Korn und trinkt einen Schluck.
    »Das war schon fast etwas zu viel, aber lasst euch ruhig aus, wenn euch danach ist!«, sagt Hartmut.
    Nach zwei weiteren therapeutischen Befleckungen rastet Margot plötzlich aus. Unvermittelt wirbelt sie mit den Armen um sich und schreit: »Ich kann es nicht mehr ertragen! Macht es weg! Macht es weg!« Sie versucht, sich die Bluse vom Leib zu reißen, bleibt hängen, zerfetzt die Naht, wird immer wilder, steigert sich in Rage, verpasst dem neben ihr sitzenden Geschäftsmann einen Faustschlag, sitzt schon längst nur noch im Büstenhalter da, während ihre sirupbefleckte Bluse durch den Raum fliegt, und wird erst ruhiger, als Hartmut sie sanft, aber bestimmt an den Schultern packt, beruhigt und ihr eine Joggingjacke um den Körper legt. Margot lässt sich auf seine Brust sinken und wimmert. Sie hat einst ein paar Handwerker von IKEA acht Stunden bei sich verweilen lassen, bis der Kurierfahrer es endlich geschafft hatte, eine Front-Tür im Küchenschrank zu besorgen, die keinen minimalen Kratzer aufwies, so genau man auch suchte. Margot wird langsam ruhiger.
    Den Rest des Abends verbringt Hartmut mit einfacheren Übungen. Mit zwei Teilnehmern übt er die interne Verwüstung des Autos, verteilt Schokoriegel-Papier und Leergut auf den Sitzen und schaufelt ein wenig Dreck von der Straße auf die Fußmatten. Mit zwei anderen geht er gegenüber in die Pommesbude und bestellt zwei dreifache Currywurst mit Pommes Spezial. Der Student darf seiner heimlichen Liebe zur Volksmusik frönen und muss nicht mehr Sonic Youth hören. Irgendwann wird er es vielleicht sogar schaffen, seine Neigung dem engsten Freundeskreis zu gestehen. Weit nach Mitternacht löst sich die Gruppe auf und geht glücklich von dannen.
    Acht Wochen hat das Projekt von Hartmut funktioniert.
    Acht Wochen.
    Dann kam dieser Manager aus der Unternehmensberatung, den ich schon vom ersten Tag an misstrauisch beäugte. Doch Hartmut wollte meine Warnungen nicht hören. Dieser Mann tat sich zu leicht mit Hartmuts Aufgaben, er hatte regelrecht Spaß daran, und das von Anfang an. Der hätte sich noch im Schweinezuber gewälzt, wenn man ihn drum gebeten hätte, und ich konnte mir nicht helfen: Das war kein Teilnehmer, das war ein Beobachter. Ein Spion. Und ich sollte Recht behalten. In der zwölften Woche blieb der Mann in der Tür

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