Hartmut und ich: Roman
als ich in den Flur komme.
Hartmut und ich haben ja immer schon gerne diese Trash-Reportagen gesehen, aber diese neue Form des Alltagsfernsehens geht mir schwer auf den Senkel. All die Doku-Soaps über Frauentausch und Männerrunden, Deutschlands beste Heimwerker und Deutschlands flinkste Putzteufel. Hartmut zieht sich diesen ganzen Mist rein, wenn er seine Mails und Papiere erledigt hat. Er übt sich darin, wirklich Feierabend machen zu können, und ich finde das ja durchaus löblich, aber dass er sich dann ausgerechnet auf Doku-Soaps stürzen muss, macht mich betroffener als seine Leidenschaft für die Wettholzfäller vom Lumberjack. Sicher habe ich mal angemerkt, dass die Fernsehfritzen lieber zu meiner Arbeit in die Halle oder zu uns in die WG kommen sollten, als ihr Filmmaterial bei all diesen langweiligen, ruhmsüchtigen Familien zu verschwenden, aber das habe ich doch nicht wirklich so gemeint!!!
Jetzt aber schlurfe ich da an einem Montagmorgen in unseren Flur und blicke in eine Kamera auf der Schulter eines jungen Mannes, neben dem kollegial Hartmut steht und mich ansieht, als wolle er von mir Freudenschreie hören. Zwei weitere Fernsehmenschen lümmeln sich in unserem Eingangsbereich, der eine mit Glatze, Hornbrille und einer alten, jetzt wieder modischen Adidas-Trainingsjacke, der andere mit Rastas und einem karierten Holzfällerhemd.
»Was soll das denn!?«, sage ich in für morgendliche Verhältnisse gehobener Dezibelzahl. Meine Stimme knackt und fiept wie ein schlecht gespultes Videoband. Es ist 6.30 Uhr. Ich muss zur Arbeit. »Das sind die ersten Minuten der neuen Doku-Soap ›Mein Mitbewohner und ich‹«, sagt Hartmut und setzt ein so stolzes, ein so breites Grinsen auf, dass ich ihm für eine Sekunde nicht böse sein kann. Dann legt es sich. »Jetzt gehen wohl alle Pferde mit dir durch, was?«, sage ich und öffne die Tür zum kleinen Bad. Es ist noch dunkel in der Wohnung, ich sehe das kleine rote Licht an der Kamera, das wohl bedeutet, dass ich auf Sendung bin. Ich strecke dem Kameramann meinen Hintern in der labberigen Boxer-Short entgegen, furze kräftig, wie ich es immer morgens tue, und betrete das kleine Bad. Die Tür lasse ich einen Spalt offen und ziehe drinnen knarrend meine Rotze hoch, um sie herzhaft spuckend ins Klo zu entladen. Das mache ich allerdings selten, aber ich hoffe so, den Kameramann zu vergraulen. »Ja, so sind die Malocher«, sagt Hartmut auf dem Flur, und der Kameramann scheint erfreut statt abgestoßen zu sein. Ich putze mir die Zähne, seife mir das Gesicht mit Duschgel und heißem Wasser ein, benetze meine Haare mit ein paar Tropfen Flüssigkeit, schmiere mir Creme ins Gesicht, öffne die Tür abrupt und mache »Buh!«, aber der Kameramann steht schon mit Hartmut in der Küche und filmt den Kühlschrank, weil sie wissen, dass dies die Stelle ist, die ich als Nächstes betreten werde. Die Kamera surrt, ich zögere kurz. Dann gehe ich zum Kühlschrank, nehme mir die Tüte Milch heraus, fülle die Cornflakes in die Schüssel und rühre müde darin herum. Ich lasse mir doch nicht von einer Kamera meine Morgenroutine ausreden. Sollen sie mich ruhig dabei filmen. Irgendwann werden die Fernsehleute aufs Klo oder rüber zur Frittenbude gehen, und dann rede ich Klartext mit Hartmut. »Soll ich die Cornflakes anders essen?«, frage ich. »Vielleicht mit einem etwas gleichgültigeren Blick oder freudiger? Soll ich was sagen, so was wie ›Trüber Morgen, was?‹ oder ›Mein Job versaut mir gerade einen wunderbaren Kater?‹.« Der Hornbrillenmann wedelt mit den Händen: »Nein, nein, nicht diese ironischen Sachen. Sei einfach ganz du selbst, okay? Benimm dich so, wie du dich immer benimmst.« Ich sehe den jungen Mann an, dessen Trainingsjackenkragen bis über den Hals zugezogen ist. Der Kopf guckt heraus wie ein Aufsatz. »Wie ich mich immer benehme?«, frage ich.
Er nickt.
»Okay!«
Ich gehe in den Flur zum Telefon, tippe die Nummer meines Chefs und sage: »Ja, guten Morgen, Herr Reinert, hören Sie, könnte ich heute freimachen und dafür morgen Früh- und Spätschicht nehmen? … Ja, mir geht es echt dreckig, heute Morgen hat mich da wirklich was überrascht. Sie wissen, ich weiß, was ich tue, und wenn ich mich so fühle, landet die Hälfte der Pakete im Durchlauf. Ja … ja, fragen Sie Martin, genau. Sagen Sie ihm, er kriegt ’n extra Kasten dafür, wenn er die Schicht übernimmt. Ja, tausend Dank. Ja, Sie sind der Größte. Danke. Ciao!« Die Fernsehleute stehen im
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