Hartmut und ich: Roman
dass der erste Schimanski gut gestartet wäre, wenn Schimmi sich sorgfältig Gemüse geschnitten hätte, statt sich in seiner versifften Küche ein paar rohe Eier hinter die Binde zu kippen?«
»Ich esse jetzt hier Gemüsepfanne!«, sage ich in einem Ton, der keine weiteren Diskussionen zulässt. »Dafür bekommen wir am Wochenende aber eine gute Fete, okay?«, fragt der Hornbrillenmann. Ich nicke grummelig. Er seufzt und macht Kaffee.
Am Samstagabend kommen sie dann alle. Jörgen, der alte Kiffer, Steven, der neulich Hartmuts Fußballsklaven spielte und so gut Kulturgeschichte erklären kann. Hanno mit seiner gesamten räudigen Band. Martin, the Machine, mein Arbeitskollege mit den unglaublichen Muskeln, der mit seinem Bürstenschnitt-Iro wie ein Bösewichtsoldat aus einem drittklassigen Michael-Dudikoff-Streifen aussieht. In allen Zimmern laufen die Anlagen, Hip-Hop mischt sich mit New Metal, der neueste Retrorock scheppert durch die Küche, Skatepunk rast durch die Flure. Die Kameraleute sind in heller Aufregung und Freude, wir geben ihnen was für die 1000 Euro am Tag, heute lassen wir uns nicht lumpen. Die Bierkästen haben wir im Flur aufgebaut. Wir haben sie senkrecht an einer Wand hochgestapelt, sodass man die Flaschen einfach herausziehen kann. Überall liegen alte Matratzen aus dem Keller, auf denen sich Chipskrümel und Menschen verteilen, es riecht nach Dope, im Wohnzimmer haben Jörgen und Steven eine riesige Bong angeschmissen, im großen Bad stehen Leute und ziehen Flaschen aus der Badewanne, im Lagerraum ist der Pogo ausgebrochen. Die jungen Männer vom Fernsehen sind nicht ganz unschuldig an der Art dieses Arrangements. Es sind unglaublich viele Leute gekommen, und es geht immer wieder die Tür auf. Unsere Telefonkette hat Wirkung gezeigt, und die Tatsache, dass diese Feier mit drei Kameras gefilmt wird, mag nicht unerheblich dazu beigetragen haben, dass sich in unserer Wohnung ein gutes Dutzend Leute tummeln, die ich nicht mal kenne, darunter viele Frauen. Überhaupt sind heute erstaunlich viele Frauen gekommen, sonst verirren sich auf unsere Feten nur die Freundinnen von Hanno und Steven, wenn sie denn gerade welche haben, und Pia von oben, die ihren Frank mitbringt, Bloody Mary trinkt und fragt, ob sie mal was Dunkles auflegen darf. Unsere Feten sind keine Knutschfeten. Unsere Feten sind Feten, bei denen wir weit nach Mitternacht bekifft auf der Couch im Wohnzimmer hocken und in große philosophische Diskurse abdriften. Unsere Feten sind Feten, nach denen ich schon an Zeitreisen, Illuminaten und die absolute Relativität der Wirklichkeit geglaubt habe, weil Steven, Jörgen und Hartmut das in tiefer Nacht und high so eindringlich rüberbringen können. Unsere Feten sind Feten, bei denen ich manchmal um vier Uhr morgens durch die Wohnung gehe und zu leiser Musik aufräume, weil ich die Ruhe nach dem Sturm genieße. Heute aber finden sich immer mehr Körper zusammen, je später die Stunden voranschreiten, und als ich gerade eine Flasche Tequila aus dem Kühlschrank holen will, muss ich über ein Pärchen auf einer Matratze steigen, dessen Aktivitäten auf unserem Küchenboden die Grenze zum Unanständigen schon überschritten haben. Der Rastamann hält mit der Kamera drauf. Ich fühle mich komisch. Im Wohnzimmer finde ich Jörgen, Steven und Hartmut zu meiner Irritation auch nicht mehr im Trio philosophierend zusammenhocken, sondern jeden der drei mit einer Frau neben sich. Steven hat schon mit dem Knutschen begonnen, Hartmut und Jörgen flirten noch ein wenig tapsig. »Was ist denn mit Ihnen?«, fragt mich plötzlich der Kameramann, der mich damals als Erster ins Visier genommen hatte, während sein Hornbrillenkollege die turtelnden Menschen im Wohnzimmer filmt. Die Musik ist mittlerweile bei Soul angekommen, es gibt nur noch wenig Sauerstoff in dem Gras- und Zigarettenqualm. »Was soll mit mir sein?«, sage ich.
»Keine Perle?«
Wie ich diesen Begriff hasse. Meine Kollegen benutzen ihn auch auf der Arbeit. Perle. Da denke ich an Hochhäuser in Mülheim und debile Schwangere mit fünfzehn in Buffalos, die sich auch ständig filmen lassen. »Keine Perle?« Ich werde grantig.
»Nee, keine Perle!«, schnauze ich zurück.
»Das ist schlecht«, sagt er, und es klingt, als spreche er ein Urteil über mich, als sei ich ein Perverser, ein Aussatz der Gesellschaft, weil ich es nicht schaffe, nach Mitternacht auf unserer Party mit einer Perle dazustehen.
»Da hinten, in dem anderen Flügel der
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