Hartmut und ich: Roman
Wohnung, sind noch ein paar Leute, wollen Sie nicht mal?«, fragt er.
Ich sehe ihn giftig an. Mein Blick schweift zwischendurch über Hartmut, Jörgen und Steven mit ihren Perlen. Steven kaufe ich das ja ab, wie er da gerade dem Mädchen seine Zunge in den Hals steckt. Steven ist Playboy und Philosoph, war er schon immer. Die Mädchen an Hartmuts und Stevens Uni stehen auf gut aussehende Farbige, allein schon, weil sie von gelangweiltem Weißbrot genug Auswahl haben. Aber was Jörgen und Hartmut da veranstalten, ist beschämend. Die Tussis, mit denen sie anzubandeln versuchen, würde Hartmut sonst nicht mal bemerken. Aber es ist ja die Kamera an. Es ist ja die Kamera an. Ich werde aggressiv. Es passiert mir nicht oft, aber ich werde aggressiv. »Was würden Sie denn sagen, wenn ich schwul wäre, hä?«, frage ich den Mann. »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen hier und jetzt auftische, dass ich von dieser Schnellpopperei absolut gar nichts halte und dass eine Fete, auf der ein Dutzend eben erst zusammengekommener Paare unsere ganze Wohnung mit ihren Flüssigkeiten dekorieren, während es zum Kotzen nach Schweiß und Qualm und Lärm stinkt, in mir den unbändigen Wunsch auslöst, jetzt sofort nach draußen zu gehen und einen ganz langen Spaziergang zu machen, bis der Spuk hier vorbei ist. Was würden Sie dazu sagen?«
»Ich würde dazu sagen, dass dies nicht unbedingt das ist, was unsere Chefs für 1000 Euro am Tag erwarten!«
Ich blicke ihn böse an. Jetzt ist es endlich ein offener Kampf. Er fährt fort: »Verdammt noch mal, ich dachte, Sie seien ein cooler Typ. Einer der … «
»Einer der den ganzen Tag auf der Couch sitzt und säuft und nebenbei malocht und immer diesen resignierten, gleichgültigen Blick draufhat und der am Wochenende dann die erstbeste Schickse knallt, die sich auf die Fete in seiner Wohnung verirrt, weil ihm alles, aber auch wirklich alles egal ist?«
Der Kameramann schweigt. Wir beide werden nicht gefilmt. Ich blicke kurz rüber zu Hartmut, der im Fokus der Wohnzimmerkamera knapp vor die Knutschphase gekommen ist und jetzt flüchtig zu mir rübersieht, als sei er besorgt. Ich schimpfe weiter: »Sie denken wohl, dass einer wie ich, der sich beruflich damit begnügt, Pakete zu verladen, und der 350 Videospiele besitzt, zu nichts wirklich ein Verhältnis hat, oder? Aber wissen Sie was? Kommen Sie mal mit!« Ich zerre den Mann in die Küche zur Spüle, vor der das Pärchen auf der Matratze unter den Augen der Kamera Dinge tut, für die Menschen hohe Leihgebühren in Videotheken bezahlen. »Sehen Sie das hier!«, sage ich und tippe mit dem Finger auf den People = Shit -Aufkleber über der Spüle. »Ich glaube nicht daran! Sie haben das da hingeklebt. Ich glaube nicht daran.« Dann steige ich über das kopulierende Paar, nehme mir meine Jacke aus einem Dreckhaufen im Flur und verlasse das Haus.
Am nächsten Morgen stehe ich in der Küche, habe die Stühle hochgestellt, das Radio angemacht und einen Eimer heißes Wasser mit Putzmittel gefüllt. Es riecht nach Wasserblumen. Im Radio läuft Chris Rea. Ich pfeife mit. »Was machen Sie denn da?«, kommt der Rastamann in die Küche und deutet abwinkend auf meinen Eimer. »Ich wische«, sage ich und setze plätschernd den Mopp an. »Nein, das tun Sie nicht!«, sagt jetzt der Rastamann und bedeutet dem eben um die Ecke biegenden Kamerafritzen, er möge ruhig in Hartmuts Zimmer bleiben, weil hier nichts Verwertbares zu holen sei.
»Tue ich wohl, sehen Sie doch«, sage ich.
»Haben Sie denn gar keinen Kater? Wälzen Sie sich nicht mühsam aus dem Bett? Machen Sie nicht erst mal Kaffee, Musik an und setzen sich vor den Fernseher? Eine Runde Playstation vielleicht?«
»Ich wische jetzt!«, sage ich. »Ich habe keinen Kater. Ich bin gestern Abend schön an der frischen Luft spazieren gewesen. Ich habe Lust, jetzt zu wischen, verstehen Sie? Ich habe Spaß daran.«
Der Kameramann seufzt, dreht sich um und geht in den Westflügel, wohl um sich mit seinen Kollegen zu beraten. Ich ramme den Mopp in den Eimer und schleudere einen Schwall Wasser über die Fliesen, wo gestern Abend die Matratze mit den Poppenden gelegen hat. Es kommt mir alles vor wie ein böser Traum. Die drei Kameraleute kommen jetzt als Gruppe zurück, mit Hartmut an ihrer Seite. Hartmut sieht mich um Verständnis ringend an. »Hör zu«, sagt er, »könntest du nicht erst mal wenigstens so tun, als wenn du nach der Fete völlig fertig wärst? Die Herren hier hätten gerne, wenn wir uns
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