Hass
ihr stieg die alte lähmende Hilflosigkeit hoch, und die Leere, die sie an Lincs Bett gefühlt hatte, als sie den Übelkeit erregenden Geruch von Alkohol und Desinfektionsmitteln eingeatmet hatte.
Nein, ich bin nicht in Hartford, sondern hier in San Francisco, zu Hause im Bett. Es war nur wieder dieser Traum.
Den Traum hatte sie über die Jahre immer wieder gehabt. Also war, was sie gehört hatte, wohl einfach nur ein neues Detail gewesen. Vielleicht hatte sie ja auch gar nichts gehört …
Aber dann vernahm sie erneut langsame, tastende Schritte – o Gott, jemand war hier in ihrem Haus, kam auf das Schlafzimmer zu, jemand wollte sie umbringen. Wie er auch Linc getötet hatte. Nein, niemand hatte Linc getötet, das war ein dummer Unfall gewesen, der nie hätte passieren dürfen. Aber jemand hatte August umgebracht, und jetzt hatte er es auch auf sie abgesehen. Diesmal wollte er es richtig machen, er würde …
Die Angst lähmte sie für einen Moment, sie konnte nicht mehr klar denken. Am Donnerstagabend war sie hilflos gewesen – das war erst zwei Nächte her. Der plötzliche Angriff hatte sie so sehr überrascht, dass sie beinahe gestorben wäre, ohne überhaupt zu begreifen, was da vor sich ging. Doch diesmal war sie vorbereitet. Sie hatte ihre Bewegungen ein Dutzend Mal in Gedanken geprobt, bis ihr Körper ohne nachzudenken gehorchte. Sie rutschte zum Bettrand, öffnete leise die Nachttischschublade und nahm die eiskalte Pistole und ein zusätzliches Magazin heraus. Sie hatte gestern damit geübt, bis die Waffe perfekt in ihrer Hand lag und sie exakt den richtigen Druck am Abzug herausgefunden hatte. Ihr Herz hämmerte, aber die Angst löste einen Adrenalinschub aus, der sie zittern und sich unglaublich kraftvoll fühlen ließ.
Ihre SIG P239 konnte nicht einen Traum aufhalten, der nachts durch ihren Kopf schoss, und auch kein heranstürmendes Nashorn, aber im Moment brauchte sie nur Schutz vor einem einzelnen Mann. Sie zog die Decke bis über das Kissen hoch, als sie einen weiteren Schritt in der Nähe der Tür vernahm.
Es war sehr dunkel im Schlafzimmer. Sie hatte die Vorhänge zugezogen, um das helle Mondlicht auszusperren. Julia lief barfuß und ohne das geringste Geräusch zu verursachen zur anderen Seite der Schlafzimmertür. Um es noch schwieriger für ihn zu machen, kniete sie sich mit dem Rücken zur Wand hin. Sie wartete. Ihr Herz schlug schnell, aber sie hielt sich gut, verlangsamte ihre Atmung. Wieder ein leiser Schritt, dann Stille. Er war hier, direkt vor der Tür. Wahrscheinlich drückte er sein Ohr dagegen und horchte. Sie stellte sich vor, was passieren würde, wie sie reagieren würde.
War es derselbe Mann, der sie am Pier 39 umbringen wollte? Der Mann mit der Brille, dem Burberry-Mantel und dem charmanten Lächeln?
Der Türknauf drehte sich sehr langsam. Er kam herein, um sie in ihrem Bett zu erschießen, im Schlaf, dieser Mistkerl. Blinde Wut trieb ihren Adrenalinspiegel weiter hoch, sodass sie wieder anfing zu zittern, aber es war egal. Sie war bereit.
Komm schon, du Drecksack. Diesmal bin ich nicht hilflos. Ich kenne mich hier im Dunkeln aus, du nicht. Komm schon rein. Na los.
Die Tür öffnete sich langsam. Als Erstes erblickte sie eine behandschuhte Hand mit einer Waffe.
Sie legte sich auf den Bauch und verharrte reglos, als er langsam das Schlafzimmer betrat. Er bewegte sich elegant, seine Aufmerksamkeit war auf das Bett konzentriert. Seine Brille schimmerte matt. Von der dunklen Jacke und Hose sah sie nur die Umrisse.
Als er etwas mehr als einen Meter leicht rechts vor ihr stand, hob er die Waffe. Er schoss einmal, zweimal, dann noch zweimal mit dem dumpfen Klang eines Schalldämpfers ins Kissen. Nach einem kurzen Zögern schoss er auf die Stelle, wo ihr Kopf gewesen wäre. Er senkte die Waffe und trat auf das Bett zu.
»Lassen Sie sofort die Waffe fallen, oder ich blase Ihnen den Kopf weg.«
Der Mann wirbelte herum und feuerte im selben Moment wie Julia. Ihre Kugel traf seinen Arm, und er zuckte zurück.
Sein Schuss kam zu hoch und traf dort die Wand, wo, hätte sie gestanden, ihr Herz gewesen wäre. Er schrie und fluchte, während er noch sechs Schüsse in die Wand über ihrem Kopf abgab. Auch wenn sie gekniet hätte, wäre sie tot gewesen.
Aber sie lag noch immer bäuchlings auf dem Fußboden. Sie feuerte wieder, doch der Schuss verfehlte sein Ziel und traf die Nachttischlampe, die zu Boden krachte. Er drückte noch einmal ab, aber das Magazin war leer. Sie schoss
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