Hass
»Tatsache ist aber, dass ihn seit gestern niemand mehr gesehen hat.«
Pallack lachte. »Ich gebe zu, dass es ihm nicht ähnlich sieht, einen Auftritt zu verpassen, aber so etwas passiert wohl mal. Ich sage Ihnen, David ist wahrscheinlich nach New Orleans gefahren und veranstaltet in diesem Augenblick in irgendeinem verräucherten Loch mit seinen schäbigen Musikerfreunden eine Jam Session. Das hat er schon mal gemacht und ist fast eine ganze Woche weggeblieben. Da vergisst er alles. Er wird nicht vermisst. Das ist absurd.«
Cheney fragte: »Ist er auch in der Zeit, seit er bei den Symphonikern ist, schon mal zu einer Spritztour aufgebrochen?«
Pallack zuckte mit den Schultern. »Ich sehe, dass Sie beunruhigt sind. Ich frage Charlotte, was sie darüber weiß, wenn sie überhaupt etwas weiß. Ich bezweifle allerdings, dass sie überhaupt weiß, dass man nach ihm sucht. Warum ist das für das FBI denn von Belang?«
Savich antwortete: »Das FBI hat Mr Caldicott in Zusammenhang mit einem anderen Fall befragt. Die Beamten hatten den Eindruck, dass er etwas verschweigt. Und dann verschwindet er. Es scheint logisch, dass da eine Verbindung besteht. Meinen Sie nicht?«
»Ich kann mir keine vorstellen, Agent Savich.«
»Haben Sie etwas Geduld, Sir. Sagen Sie, kennen Sie Chappy Holcombe?«
»Natürlich kenne ich ihn. Sie schweifen schon wieder ganz schön ab, Agent Savich. Was hat Chappy denn mit der ganzen Sache zu tun?«
»Waren Sie mal in Maestro, in Virginia? Haben Sie Chappy besucht?«
»Ja, ein Mal vor recht langer Zeit. Geschäftlich. Wieso?«
»War das zu der Zeit, als Ihr Schwager an der Stanislaus Music School studierte?«
»Schon möglich. Aber ich habe David Caldicott erst kurz vor meiner Hochzeit mit Charlotte kennengelernt. Er ist nach San Francisco gekommen. Na und? Also, mir reicht’s jetzt allmählich, Agent Savich.« Thomas Pallack stand langsam auf und stützte sich mit den Handflächen auf dem Schreibtisch ab, wobei er seinen Oberkörper vorbeugte. Eine wunderbare Einschüchterungspose, dachte Sherlock. »Sie sagen mir jetzt, was hinter diesen ganzen aufdringlichen Fragen steckt, oder ich rufe meinen Anwalt an. Glauben Sie mir, das wird Ihnen nicht gefallen.«
»Sie haben denselben Anwalt wie Dr. Ransom, oder?«, fragte Cheney. »Zion Leftwitz?«
»Er ist einer meiner Firmenanwälte. Simon Bellows ist mein Zivilanwalt.« Er griff nach dem Telefon.
Savich blickte Sherlock an, die kurz nachzudenken schien und ihm dann zunickte. »Also gut, Mr Pallack«, sagte Savich. »Im Grunde geht es um Folgendes: Sie sind mit einer Frau verheiratet, die einer anderen, die vor über drei Jahren aus Maestro in Virginia verschwunden ist, sehr ähnlich sieht. So ähnlich, dass sie Zwillinge sein könnten. Diese Frau heißt Christie Noble. Sie ist Chappy Holcombes Tochter. Haben Sie sie vielleicht kennengelernt, als Sie bei Chappy waren?«
»Meine Charlotte ähnelt dieser Christie? Na und? Hören Sie, ich glaube, ich erinnere mich, dass Chappy eine Tochter hat, aber ich habe sie nie gesehen. Sie ist verschwunden?«
Sherlock sagte: »Sie sind doch mit meinen Eltern bekannt, Mr Pallack.«
»Ja, nett, Sie auch mal kennenzulernen.«
Cheney sagte: »Sie haben Christies Ehemann, also Chappys Schwiegersohn, Sheriff Dix Noble, am Freitag beim Abendessen bei den Sherlocks kennengelernt.«
Thomas Pallack sah plötzlich krank aus, seine Augen schienen sich zu verdunkeln. Vor Bösartigkeit, dachte Sherlock. Sie wandte den Blick nicht von ihm ab, als er sagte: »Ich erinnere mich an das Essen und an den Sheriff. Jetzt verstehe ich, darum hat er Charlotte also den ganzen Abend angestarrt. Er dachte, sie wäre seine Frau?«
Sherlock nickte. »Ja, doch nur einen Moment lang. Er hat ziemlich schnell gemerkt, dass sie nicht Christie ist. Wie Agent Savich schon sagte, war sie Chappy Holcombes Tochter. Und Sie sind ihr tatsächlich nie begegnet?«
»So ist es. Aber sagen Sie, woher wusste der Sheriff überhaupt von Charlotte?«
»Erinnern Sie sich an die Spendenveranstaltung vor zwei, drei Wochen?«, fragte Savich. »Einer Ihrer Gäste sah Ihre Frau und brach zusammen.«
»Ja, klar. Jules Advere. Das tat mir sehr leid. Aber er hat es ja wohl überstanden. Ich habe noch nicht wieder mit ihm gesprochen, aber ich habe gehört, es geht ihm gut. Und weiter?«
»Ja, es geht ihm besser. Erinnern Sie sich, dass Sie sich zu ihm hinuntergebeugt und etwas zu ihm gesagt haben?« Sherlock hielt kurz inne und sagte dann schnell und
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