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Hastings House

Hastings House

Titel: Hastings House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Graham
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als sie zu hoffen gewagt hatte. Andererseits hatten andere Bücher – oder besser gesagt: Schriftrollen – sogar ganze Jahrtausende überdauert.
    Plötzlich umwehte sie ein kalter Lufthauch. Sie stutzte und sah über die Schulter. Zwar lag ein großer Teil der Gruft im Dunkeln, dennoch konnte sie erkennen, dass sie allein war. Trotzdem …
    “Hallo?”, sagte sie leise.
    Ihre Miene wurde ernst. Zweifellos konnten sich hier noch mehr Geister aufhalten, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass sich ein körperloses Wesen aus einer anderen Zeit zu ihr gesellt hatte. Ganz sicher waren einige der hier Beigesetzten eines unnatürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben, doch was sie gespürt hatte, war eindeutig ein Luftzug gewesen. Etwas oder jemand hatte sich bewegt. Es war nicht dieses Frösteln, von dem manche behaupteten, es markiere das Erscheinen eines Geistes. Es kam ihr so vor, als habe sich jemand zu ihr in die Gruft begeben.
    Sonderbar. So etwas hatte sie nicht mal gefühlt, als sich ihr zum ersten Mal Geister zeigten. Sie hatte Angst gehabt, doch das war nur die natürliche Angst vor dem Unbekannten gewesen. Es war nie ein solches Unbehagen gewesen wie bei diesem Luftzug, der wie eine Warnung wirkte.
    “Es reicht!”, sprach sie laut und konzentrierte sich auf die Schatten, aber sie war offensichtlich allein hier.
    Leslie presste die Lippen zusammen, schüttelte das eigenartige Gefühl ab und widmete sich wieder dem Buch.
    Wie erhofft handelte es sich um das Kirchenregister, in dem die Daten von Hochzeiten, Geburten und Sterbefällen aufgelistet waren.
    Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, mit dem Finger an den Zeilen entlangzufahren. Stattdessen ließ sie ihren Blick über die Eintragungen wandern. Das Buch war von einem gewissen Father Browne geführt worden, dessen Schrift klar und deutlich zu lesen war und nur leichte Schnörkel aufwies. So viele Tote. Bei ihnen handelte es sich nicht um die Reichen und Berühmten, jedoch war Leslie sich sicher, dass sich unter ihnen einige Aufrührer befanden. Immerhin stammten die meisten Einträge aus der Zeit um 1850, als die Bandengewalt einen Höhepunkt erreichte. Die
Times
hatte über die verzweifelten Massen geschrieben und davon berichtet, dass es auf den Straßen von Schurken wimmelte und kein Platz in der Metropole wirklich sicher war. Im Mai 1849 waren die Astor-Place-Aufstände ausgebrochen, bei denen viele Menschen ums Leben kamen, als man gegen den aristokratischen englischen Schauspieler William Macready protestierte, weil man der Ansicht war, die Rolle des Macbeth gehöre dem amerikanischen Darsteller Edwin Forrest. Hatte eine so banale Besetzungsfrage tatsächlich einen derartigen Tumult verursacht? Oder lag der wahre Grund in der immer breiter werdenden Kluft zwischen den Armen und den Reichen der Stadt? Die meisten vertraten die Ansicht, dass die erbärmlichen Lebensbedingungen so vieler Menschen die Ursache für den Gewaltausbruch waren, der eine kulturelle Kontroverse lediglich als Vorwand benutzte.
    Sie notierte sich, dass die Aufzeichnungen der Sterbefälle im Mai 1849 begannen, und fragte sich unwillkürlich, ob einige von ihnen wohl auf eben jene Unruhen zurückzuführen waren.
    Dann blätterte sie behutsam weiter und suchte nach einem Kind namens Mary.
    Insgesamt fand sie zehn Marys. Mit einem Seufzer wurde ihr bewusst, dass sie erst den Familiennamen des Mädchens herausfinden musste, ehe sie weitermachen konnte.
    Langsam drängte sich ein Geräusch in ihr Bewusstsein: eine Art gedämpftes Schlurfen. Sie war so sehr in die Aufzeichnungen vertieft, dass sie ihr Unbehagen ganz vergessen hatte.
    Irgendetwas – oder irgendjemand? – schien sich doch im Schatten hinter ihr aufzuhalten. Sie straffte die Schultern, fest entschlossen, sich nicht vor der Dunkelheit zu fürchten.
    Aber es half nichts.
    Vorsichtig klappte sie das Buch zu und drehte sich in die Richtung um, aus der sie das Geräusch gehört zu haben glaubte. Sosehr sie auch versuchte, in den dunklen Ecken der Gruft etwas zu erkennen, es wollte ihr nicht gelingen. Vermutlich rutschte bloß irgendwo Erde nach. Oder es war eine Brise, die durch das Loch in der Wand drang, durch die sie eingebrochen war. Sie würden diese Gruft erst abstützen müssen, bevor sie hier intensiver zu arbeiten begannen oder noch mehr Leute hereinließen.
    Da sie nichts ausmachen konnte, wandte sie sich wieder der Ecke zu, in der sie das Buch gefunden hatte. Vielleicht würde sie dort noch andere Schätze

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