Haus der bösen Lust (German Edition)
Gast die Eisenbahn tatsächlich benutzt hat, nämlich für einen durchaus ... untypischen Zweck.«
Die Bemerkung schien sonderbar zu sein. »Ich vermute mal, dass jede Bahnstrecke während des Kriegs hauptsächlich für Truppentransporte und Versorgungslieferungen verwendet wurde.«
»Richtig, aber nicht diese Bahnstrecke, Mr. Collier – und meine Quellen sind Belege aus erster Hand. Es gab keine Versorgungslieferungen, und kein einziger Soldat wurde je mit Gasts Eisenbahn befördert.« Sute nickte mit ernster Miene und deutete auf die Bücher unter Colliers Arm. »Der eigentliche Verwendungszweck der Eisenbahn wird in diesen Werken behandelt. Ich hoffe, Sie finden sie interessant.«
Was ist bloß los mit den Leuten im Süden?, fragte sich Collier leicht verärgert. Ständig weichen sie absichtlich dem springenden Punkt aus . Offenbar orientierten sie sich an einer Grundregel des Erzählens von Geschichten – der Zuhörer muss neugierig bleiben. »Sagen Sie schon, Mr. Sute, was wurde mit der Eisenbahn transportiert?«
»Gefangene«, antwortete der übergewichtige Mann.
»Oh, Sie meinen, die Strecke wurde benutzt, um Unionsgefangene in Lager zu bringen? Nach Andersonville und dergleichen?«
»Nicht ... nach Andersonville. Das lag auf der anderen Seite von Georgia, aber ja, dorthin wurden die meisten gefangen genommenen Soldaten der Union gebracht. Ich fürchte jedoch, Gasts Eisenbahn hatte einen exklusiven Nutzen: den Transport von zivilen Gefangenen. Frauen, Kinder, alte Männer. Unschuldige. Es ist bedauerlich, dass die vollständige Geschichte nie veröffentlicht wurde.«
»Ja«, fügte Collier hinzu. »Weil sie zu derb ist, haben Sie schon gesagt. Aber Sie haben mich neugierig gemacht. Also ... hat Gast gefangen genommene Zivilisten aus dem Norden mit der Eisenbahn transportiert. Habe ich das richtig verstanden?«
Sute nickte.
»Und ich vermute, sie wurden in ein eigenes Lager gebracht ...«
»In gewisser Weise könnte man das so ausdrücken. Es ist eine erschütternde Geschichte, Mr. Collier, die Sie an einem so herrlichen Tag wie heute eher nicht hören wollen. Immerhin sind Sie ein Star, und es ist schön, Sie in unserer bescheidenen Stadt zu haben. Ich möchte nicht, dass Ihnen eine solche Geschichte den Aufenthalt verdirbt.«
Collier lächelte. »Es geht um so etwas wie einen ›Geisterzug‹ oder etwas Ähnliches, habe ich recht?«
»Nein«, lautete die knappe Antwort.
Allmählich geht mir der Kerl echt auf die Nerven, dachte Collier.
Sutes ernste Miene hellte sich ein wenig auf, und er hob einen Finger. »Aber falls Sie Geistergeschichten mögen, räume ich ein, dass auch davon einige gestreift werden. Ein paar deftige Begebenheiten über das Haus.«
Das Haus, schoss es Collier durch den Kopf. Das Haus der Gasts . »Ich wusste es von Anfang an! Also ist die Pension doch ein Spukhaus. Ich wusste, dass Mrs. Butler schwindelt ...«
Ein Grinsen trat in J. G. Sutes breites Gesicht. »Also, ich bin gerade auf dem Weg zum Essen, Mr. Collier, aber wenn Sie morgen vorbeischauen, erzähle ich Ihnen einige der Geschichten.«
Collier hätte dem Mann am liebsten mit dessen eigenen Büchern auf den Kopf geschlagen. »Bitte, Mr. Sute, erzählen Sie mir eine Geschichte über das Haus. Jetzt gleich.«
Sute ließ eine Pause entstehen – natürlich zwecks dramatischer Wirkung. »Nun, ich möchte mich jetzt nicht ordinär anhören, aber ich kann Ihnen sagen, dass viele, viele Gäste des Hauses – bis zurück vor langer Zeit – von einem merkwürdigen ... Einfluss berichtet haben. Einem ... nennen wir es triebhaften Einfluss.«
Collier musterte das dralle Gesicht mit dem Schnurr- und Kinnbart eindringlich und kniff dabei die Augen zusammen. »Triebhaft – Sie meinen damit den Sexualtrieb? «
Die gouvernantenhafte Kassiererin runzelte über ihrer Brille die Stirn. »Bitte, J. G.! Fang nicht von all dem an. Wir möchten, dass Mr. Collier wiederkommt, nicht, dass er für immer und ewig verschwindet.«
Sute ignorierte die mürrische Frau. »Ich sage nur, dass dieses Haus eine sexuelle Wirkung auf bestimmte Menschen auszuüben scheint, die dort übernachten. Einer davon war mein Großvater.«
Die Kassiererin schäumte sichtlich vor Wut, aber Collier konnte es nicht dabei bewenden lassen. »Eine sexuelle Wirkung in welcher Hinsicht?«
Sute zuckte einmal knapp mit den Schultern. »Manche Menschen haben dort eine unerklärliche ... Steigerung ihres ... sexuellen Bewusstseins erfahren.«
Steigerung.
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