Haus der roten Dämonen
Tier hier in Prag außergewöhnlich groß war. Vorsichtig begutachtete sie die Wunde – und stutzte zum ersten Mal.
Die Wunde war frisch, wie sie vermutet hatte, wenn auch nicht tief. Das Tier würde es überleben, außer es holte sich eine Entzündung. Doch das Blut, das auf der Wunde und auf dem Fell getrocknet war, hatte nicht die bräunlich rote
Farbe, die es haben sollte. Es schillerte in einem tiefen Blau. Julia starrte die Wunde an, ohne mit dem Streicheln des Katers aufzuhören. Das Fell, das sie streichelte, war rau und keineswegs von der samtenen Geschmeidigkeit der Katzen, die sie kannte.
Als hätte das Wesen auf ihrem Schoß ihre Zweifel gespürt, wandte es ihr den Kopf zu und sah sie an. Plötzlich blieb Julia das Herz stehen. Eine bläuliche Zunge, die in der Mitte gespalten war, schnellte daraus hervor und leckte ihren Arm ab. Zwei Augen sahen sie an, denen die Pupille fehlte. Die Augen schimmerten in den Farben des Regenbogens, als hätte man Öl in die Höhlen gegossen und ließe das Tageslicht darauf fallen. Sie leuchteten im Dämmerlicht unter dem Tisch.
In plötzlich aufwallender Panik hätte sie das Vieh beinahe von sich geschleudert, doch sie spürte dessen scharfe Krallen auf ihren Beinen. Mit aller Gewalt unterdrückte sie ihre Reaktion, und nur ein leichtes Zittern deutete an, dass sie am liebsten laut schreiend davongelaufen wäre. Während sie mit sich rang, ließ der Kater sie nicht aus den Augen. Die schillernden Augäpfel mit den in sich verlaufenden Farben wirkten wie ein Sog, in dem man sich hätte verlieren können. Auch von ihnen riss sich Julia mit Gewalt los und schluckte. Langsam dämmerte ihr die Wahrheit. Das hier war kein Kater. Das war überhaupt kein Tier, das sie kannte. Es war – wie die Chimäre – ein Wesen, das es eigentlich so nicht geben durfte.
»Marga«, sagte Julia so sanft und unverfänglich wie möglich.
»Ja, Kind. Kommst du zurecht?«
Julia nickte zuerst mit dem Kopf, bis sie bemerkte, dass Marga sie ja gar nicht sehen konnte.
»Marga, ich glaube, dieser Kater …« Weiter kam Julia
nicht, denn die Mundwinkel des Tieres verzerrten sich und ein unheilvolles Grollen entrang sich seiner Kehle. Als hätte das Wesen sie verstanden und würde sagen wollen: »Wage es nicht, mich zu verraten!« Seine Krallen drückten sich fester in die Haut ihrer Schenkel.
»… was ist mit der Katze? Hast du sie? Dann wirf sie hinaus.«
»… die Katze ist … eher ein Kater. Außerdem ist das Tier verletzt«, stotterte Julia, »… und er hat Hunger. Gib mir bitte noch etwas Abfallfleisch, Marga. Bitte.« Sie hoffte inständig, Margas Tierliebe würde über ihre Abneigung gegen Katzen und Hunde in der Küche siegen.
Als hätte das Tier verstanden, dass keine Gefahr mehr drohte, zog es seine Krallen ein, legte seinen Kopf auf ihren Schoß und schloss die Augen. Ein leichtes Schnurren drang aus seiner Kehle. Drei weitere Brocken klatschten in Reichweite von Julias Armen auf den Boden. Neugierig drehte das Tier die Ohren, ohne die Augen zu öffnen.
»Füttere mir das Vieh ja nicht an. Es hat ein ganzes Huhn gestohlen. Das muss reichen.«
Julia griff nach dem Fleisch und legte es sich wieder auf ihre flache Hand. Das Katzenwesen nahm die Stücke mit größter Vorsicht aus dem Handteller und verschlang sie mit geschlossenen Augen. »Offenbar bist du wirklich hungrig. Hungriger, als du sein dürftest, wenn du ein ganzes Huhn gefressen hättest. Also bist du nicht der Dieb gewesen«, flüsterte Julia. Die ganze Zeit über hatte sie nicht nachgelassen, das Tier zu streicheln. Ein letztes Mal leckte der Kater über ihre Handfläche, dann erhob sich das fuchsrote Wesen, sprang von ihrem Schoß herab und humpelte davon, zurück in die Ecke, aus der es gekrochen war. Nicht ohne sich zweimal zu Julia umgedreht zu haben. Julia bemerkte erst jetzt, wie stark sie zitterte.
Was war das doch für ein merkwürdiger Tag.
Sie kroch unter dem Tisch hervor und die kritischen Blicke Margas trafen sie.
»Warum hast du das Vieh nicht gefangen?«
»Es … es hält die Ratten fern«, antwortete Julia.
Marga seufzte. »Du hast ein zu weiches Herz. Der Kater hat ein Huhn gefressen.«
»Er kann es nicht gefressen haben.«
»Papperlapapp«, widersprach Marga.
»Dazu war er zu hungrig. Außerdem …« Beinahe hätte Julia hinzugefügt, er sei kein Kater oder irgendetwas Ähnliches, doch irgendein Umstand verschloss ihr den Mund. Marga wäre auf die Tische gestiegen und hätte getobt, wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher