Haus der Sünde
offensichtlich in großer Verzweiflung befand, nicht sich selbst überlassen. So hatte sie sich zwischen Mitgefühl und Scham hin und her gerissen gefühlt. Sie war gerade dabei gewesen, ihre eigene Empfindlichkeit zu vergessen und zu hoffen, dass Melody die Erd- und Grasflecken gar nicht sehen und noch weniger vermuten würde, woher sie stammten, als Paul zu ihr getreten war und ihr etwas diskret ins Ohr geflüstert hatte.
»Geh dich rasch duschen. Ich werde Melody währenddessen einen Tee oder etwas anderes zum Trinken anbieten.«
»Würdest du das?«, hatte Claudia dankbar gemurmelt. »Das wäre toll. Gib ihr doch ein Glas Cognac … Und wir können alle zusammen später noch Tee trinken.«
Claudia duschte sich so rasch, wie sie das noch nie getan hatte, obwohl der Schmutz seinen Weg an die unwahrscheinlichsten Stellen ihres Körpers gefunden hatte. Wenn sie nach ihrem eigenen Aussehen ging, konnte man den Eindruck gewinnen, Paul und sie hätten sich wie paarende Nilpferde im
Schlamm gewälzt – eine Vermutung, die ja auch nicht allzu weit von der Wirklichkeit entfernt war.
Sie machte sich echte Sorgen um Melody und beeilte sich deshalb, so gut es ging. Aber auch der Gedanke an Paul beunruhigte sie. In ihrer Gegenwart ging es ihm gut, und auch im Krankenhaus und mit Beatrice hatte er sich offenbar wohl gefühlt. Aber war es richtig, zwei emotional angeschlagene Menschen miteinander allein zu lassen, die bisher doch kaum mehr als ein gutes Dutzend Worte gewechselt hatten? Wie sollten sie in einer derart labilen Verfassung Smalltalk machen können?
Wie sich allerdings herausstellte, plauderten Paul und Melody bei Claudias Rückkehr so angeregt miteinander, als wären sie schon Jahre lang Freunde. Paul beschrieb gerade die Wunder einer Gehirntomographie, und Melody hörte ihm aufmerksam zu, wobei ihr Gesicht angeregt und zufrieden wirkte.
Als er die Schilderung seiner Erlebnisse in der Klinik beendet hatte, zog er sich taktvoll zurück und ließ die zwei Frauen allein.
»Und du störst überhaupt nicht, Mel«, fuhr Claudia fort, noch immer darum bemüht, die jüngere Frau zu beruhigen. »Ganz und gar nicht.«
» Das ist nun wirklich Blödsinn, Claudia«, erwiderte Melody lächelnd. »Es war schon gestern sonnenklar, dass zwischen euch irgendwas läuft … Und jetzt? Na ja … Was zum Teufel habt ihr getrieben, um so schmutzig zu werden?« Melodys fein geschnittene graue Augen wurden zu schmalen Schlitzen, was Claudia deutlich zeigte, dass sich ihre Freundin nichts vormachen ließ. »Und behaupte jetzt nicht, es ist beim Spazierengehen passiert. Niemand sieht so aus, nachdem er einfach nur eine Runde gedreht hat. Allerdings würde man in den Klamotten, die ihr getragen habt, sowieso nicht auf die Idee kommen, durch die Natur zu marschieren.«
»Aber es stimmt! Wir haben einen Spaziergang gemacht. Ich bin am Flussufer ausgerutscht und Paul hat mich gerettet.«
»Claudia!«
»Ach, also gut …«
»Also?«
»Wir sind spazieren gegangen und zwar auf einem Feld. Aber irgendwie kam es auch noch zu einigen anderen Dingen … Wir haben die Freuden der Natur auf eine etwas handfestere Weise genossen. Das Lied der Erde und so … Du weißt schon.«
»Wow!«
Claudia erwartete fast, Melody würde einen anerkennenden Pfiff ausstoßen, doch stattdessen sagte die junge Frau: »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.«
»Wirklich?«, erwiderte Claudia und geriet bei dem Gedanken, dass Melody ihr und Paul beim Ficken zuschauen würde, völlig aus dem Gleichgewicht. Die Vorstellung rief eine verstörende Welle der Lust in ihr hervor.
Melody errötete. Die helle Haut ihres Gesichts nahm die Farbe einer Pfingstrose an. »So habe ich es nicht gemeint -« Sie hielt inne und schien nachzudenken. »Nein, das stimmt nicht. Ich habe es doch so gemeint. Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das noch verführerischer wäre.« Ihre geröteten Wangen wurden noch röter, während sie versuchte, die widerstrebenden Gefühle in ihrem Inneren zuzulassen. Claudia wusste nur zu gut, was in ihrer Freundin gerade vorging. »Ich hoffe, dass es dich nicht stört, wenn ich so etwas sage«, fuhr sie stirnrunzelnd fort. »Ich meine, dass ich hoffe, dass du es nicht geschmacklos findest. Dann halte ich nämlich meinen Mund, und wir vergessen am besten, dass ich so etwas jemals gesagt habe.« In offensichtlicher Verwirrung zupfte sie an der Armlehne des Sofas, als versuche sie, einen gar nicht vorhandenen Faden aus dem Stoff zu ziehen.
Claudia
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