Haus der Vampire 02 - Der letzte Kuss-ok
fühlte, wie Tränen in ihren Augen und hinten in ihrer Kehle brannten. »Bitte. Bitte lassen Sie es nicht zu. Sie können die Wahrheit herausfinden, nicht wahr? Es steht in Ihrer Macht. Sie können erklären, dass Shane Brandon nicht ermordet hat...«
Amelie sagte nichts. Sie wandte sich wieder dem Feuer zu.
Claire schaute sie einige Augenblicke lang kläglich an und fühlte, wie ihr die Tränen hemmungslos über die Wangen rollten. Sie fühlten sich in dem überheizten Raum eiskalt an. »Sie können es erklären«, wiederholte sie. »Warum versuchen Sie es nicht wenigstens? Nur weil Sie böse auf ihn sind?«
»Sei nicht kindisch«, sagte Amelie kühl. »Ich handle nicht aus Ärger heraus. Ich bin zu alt, um in die Falle der Gefühle zu tappen. Ich handle aus Zweckmäßigkeit und um der Zukunft willen.«
»Shane ist die Zukunft! Er ist meine Zukunft! Und er ist unschuldig!«
»Das alles weiß ich«, sagte Amelie. »Aber es ist nicht von Bedeutung.«
Claire verstummte fassungslos. Ihr Mund stand offen und sie schmeckte Holzrauch auf ihrer Zunge, bis sie ihn wieder zumachte und schluckte. »Was?«
»Ich weiß, dass Shane des Verbrechens, dessen er angeklagt ist, nicht schuldig ist«, sagte Amelie. »Und ja, ich könnte Oliver aufhalten. Aber das werde ich nicht tun.«
»Warum?« Es brach aus Claire heraus wie ein Schrei, aber eigentlich war es eher ein Winseln, da ihm jeglicher Kampfgeist entwichen war.
»Ich habe keinen Grund, mich zu erklären. Begnüg dich damit, dass ich Shane zu einem bestimmten Zweck in diesen Käfig gesperrt habe. Vielleicht lebt er, vielleicht stirbt er. Das liegt nicht länger in meinen Händen und du kannst dir sowohl deinen Atem als auch deine Hoffnungen sparen. Wenn sie die Scheiterhaufen anzünden, werde ich mich nicht im letzten Augenblick dramatisch erheben und deinen Geliebten retten. Sollte es dazu kommen, musst du auf die harte Realität vorbereitet sein, dass die Welt kein fairer oder gerechter Ort ist und dass all unser Wünschen sie nicht dazu machen kann.« Amelie seufzte leise. »Eine Lektion, die ich vor langer, langer Zeit lernte, als die Ozeane noch jung waren und der Sand noch Felsen. Ich bin alt, Kind. Älter, als du wahrscheinlich begreifen kannst. Alt genug, um mit Leben zu spielen wie mit den Spielfiguren eines Spiels. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber verdammt will ich sein, wenn ich ändern könnte, was ich bin. Was die Welt ist.«
Claire sagte nichts. Es schien nichts mehr zu sagen zu geben, deshalb weinte sie einfach leise und hoffnungslos, bis Amelie ein weißes Seidentaschentuch aus ihrem Ärmel zog und es ihr in einer eleganten Bewegung reichte. Claire tupfte sich das Gesicht damit ab, schnäuzte sich und umklammerte das seidene Viereck zögernd. Sie war mit Papiertaschentüchern aufgewachsen. Sie hatte noch nie ein Stofftaschentuch in der Hand gehalten. Nicht so eines, mit schönen Stickereien und Monogramm. Man warf sie nicht weg, oder?
Amelies Lippen formten sich zu diesem ihr eigenen distanzierten Lächeln. »Wasch es und gib es mir irgendwann zurück«, sagte sie. »Aber geh jetzt. Ich bin dieser Sache überdrüssig und du wirst meine Meinung nicht ändern. Geh.«
Claire glitt aus ihrem Sessel und stand auf, drehte sich um und schnappte nach Luft. Zwei von Amelies Bodyguards waren direkt hinter ihr und sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sie die ganze Zeit dort gestanden hatten. Wenn sie irgendetwas versucht hätte...
»Geh schlafen, Claire«, sagte Amelie. »Lass die Dinge, wie sie sind. Wir werden sehen, wie die Würfel in unserem Spiel fallen.«
»Es ist kein Spiel: Es geht um Shanes Leben«, schoss Claire zurück. »Und ich gehe nicht schlafen.«
Amelie zuckte die Achseln und faltete ihre Hände ordentlich im Schoß. »Dann nimm deine Mission in Angriff«, sagte sie. »Aber komm nicht zu mir zurück, kleine Claire. Ich werde dir nicht wieder so gewogen sein.«
Claire blickte nicht zurück, aber sie wusste, dass ihr die Bodyguards den ganzen Weg bis zur Tür folgten.
»Wolltest du mir nicht noch etwas sagen?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Amelie seufzte. »Jemand bat dich um einen Gefallen.«
Michael. Claire schluckte schwer. »Michael möchte Sie sprechen.«
Amelie nickte. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
»Was soll ich ihm ausrichten?«, fragte Claire.
»Das liegt ganz bei dir. Sag ihm die Wahrheit – dass es dir nicht wichtig genug war, seine Botschaft zu übermitteln.« Amelie machte eine Handbewegung,
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