Haus des Blutes
nur widerwillig mit ihm in Kontakt treten zu wollen. In den letzten Wochen hatte es Zeiten gegeben, in denen er befürchtete, sie würden überhaupt nicht mehr mit ihm sprechen. Ihm bereitete die Vorstellung Angst, dass sie sich endgültig von ihm abwenden könnten – eine Aussicht mit fatalen Folgen.
Die Götter waren fasziniert von Macht. Sie schöpften ihre Kraft aus Menschen, Orten und Gegenständen, die von Energie erfüllt waren. Die Todesgeister, seine Götter, liebten Diktatoren, den gesamten militärisch-industriellen Apparat, Politiker, Konzerne, die sich nicht groß um Umweltschutzbestimmungen scherten und besonders produktive Serienmörder. Sie speisten sich aus den finsteren Taten ihrer Wirte.
Der Meister hatte sie mehr als ein Jahrtausend lang gut im Futter gehalten. Die Schneise des Schreckens, die er in diese Welt geschlagen hatte, war durchaus beeindruckend – egal, welchen Maßstab man ansetzte. Seine Zahlen reichten zwar nicht ganz an jene der menschlichen Völkermorde heran, aber dabei hatte es sich schließlich um konzentrierte Ausbrüche von Gewalt gehandelt, deren Feuer nach wenigen Jahren wieder erloschen war. Seine Stärke lag in der Unerbittlichkeit, einem kontinuierlichen Fluss von Opfern, den er über alle Zeiten hinweg aufrechterhalten konnte.
Er war der treueste Diener der Todesgeister.
Und wie dankten sie es ihm?
Mit Schweigen.
Hasserfülltes, entsetzliches Schweigen, das ihn an den Rand des Wahnsinns trieb. Abwechselnd erzürnte er sich und verzweifelte wegen dieser Leere, während er weiterhin jene Wesen anflehte, die er einst beinahe als seinesgleichen betrachtet hatte. Nun schienen sie unerreichbar für ihn zu sein. So, als wäre er ihnen gleichgültig. Er kannte den Grund dafür: eine schreckliche Wahrheit, die er nicht länger leugnen konnte. Er wurde schon seit Jahren schwächer. Vielleicht schon seit Jahrzehnten. Ihm blieben zwar noch über 100 Jahre seiner natürlichen Lebensdauer, aber er vermutete, dass es keine guten Jahre werden würden.
Es war gut möglich, dass die Zeit, die ihm noch blieb, für ihn einem düsteren Abstieg in Senilität und Demenz gleichkam. Die Illusionen, die er dank seiner Macht erschaffen hatte, würden sich möglicherweise so verändern, dass er nicht länger in der Lage war, sie zu kontrollieren. Womöglich würden sie sich sogar zu einer Gefahr für ihn entwickeln. Die Aussicht auf einen Abstieg in die Würdelosigkeit des fortschreitenden Alters und beginnenden Wahnsinns war mehr, als er ertragen konnte.
Das war zugleich der Grund, weshalb ihm die düstere Einladung der Menschenfrau so willkommen gewesen war. Ein frühzeitiger Aufstieg ins Paradies erschien ihm ungleich reizvoller als ein stetiger, sicherer Verfall auf dieser elenden Existenzebene. Es war die Vorstellung vom erbarmungslosen Fortschreiten der Zeit – und der verheerenden Konsequenzen, die sie womöglich für ihn bereithielt –, die ihn zu seiner Entscheidung gebracht hatte.
Er wollte gemeinsam mit Dream sterben.
Sie war so viel weiter entwickelt als alle anderen ihrer Spezies, dass er sich ernsthaft die Frage stellte, ob sie überhaupt menschlich war. Er stellte sich eine Paarung zwischen einem von Dreams uralten Vorfahren und einem anderen Wesen seiner Art vor – eine Vereinigung, aus der eine Art Mensch-/Meister-Mischling hervorging.
Die wichtigen Gene, in denen Informationen über die Kräfte seiner Art abgelegt waren, mussten aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte, jahrhundertelang geschlummert haben. Aber sie hatten stets im Hintergrund gelauert und auf ihre Entdeckung gewartet. Er war immer davon ausgegangen, die genetischen Unterschiede machten einen gemeinsamen Nachwuchs beider Spezies unmöglich, aber er hatte diese Theorie nie auf den Prüfstand gestellt.
Er neigte dazu, die Frauen zu töten, mit denen er sich paarte.
Nun bedauerte er das.
Er wünschte sich, er hätte Dream – oder zumindest eine Frau, die Dream sehr ähnlich war – schon vor Hunderten von Jahren getroffen. Die Vorstellung, sein Leben in Gesellschaft eines solchen Wesens zu verbringen, erschien ihm faszinierend. Er stellte sich all die verlorenen Generationen von Kindern vor. Mensch-/Meister-Kinder. Eine Familie. Ein Königreich, das von anderen seiner Art regiert wurde.
Er verzog das Gesicht, während er sich weiter in den lockenden Mantel der Melancholie hüllte.
Auf dieser Ebene würde er keine Familie mehr zeugen.
Aber ihm gehörte zusammen mit Dream die Ewigkeit.
Das
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