Hausbock
bleierne Schweigen hinein, das auf diese Information folgte,
tönte ein leises Brummen, das wenig später verstummte.
Als sie ins Haus kamen, wo der Bauer seinen Sprössling vor dem
Fernsehgerät vermutete, fanden sie eine leere Stube vor. Da konnte Hofmeier
rufen, wie er wollte.
»Vorhin war er noch da«, sagte er ratlos. »Anscheinend ist er weggefahren.
Mit dem Moped.«
Ein Blick hinters Haus bestätigte das.
»Das Moped vom Kevin steht immer am Hintereingang. Jetzt ist es weg.
Da müssen Sie später noch mal kommen.«
»Verdammt!«, sagte Morgenstern. »Vielleicht könnten wir einen Blick
in Kevins Zimmer werfen. Wir würden uns gerne ein bisschen umsehen. Haben Sie
was dagegen?«
Hofmeier hob die Schultern. »Von mir aus.«
Sie kehrten ins Haus zurück. Wie sich herausstellte, hatte Kevin
sein Zimmer im Dachgeschoss, mit billigen Jugendzimmermöbeln und Postern des FC Bayern an der Wand. An einer Pinnwand hingen
Fotos, die den jungen Mann mal allein, mal mit Freunden zeigten. Ein großes
Bild, säuberlich gerahmt, zeigte eine stolz aufgereihte Feuerwehrmannschaft,
wahrscheinlich nach einer erfolgreich absolvierten Leistungsprüfung.
»Feuerwehrler mit Leib und Seele«, sagte der Vater, ohne seinen
Kummer verbergen zu können.
Während Hecht die Fotos genauer betrachtete, begann Morgenstern aufs
Geratewohl in verschiedenen Schubladen zu stöbern.
»Was suchen Sie denn?«, fragte Hofmeier. »So hatte ich mir das
eigentlich nicht vorgestellt.«
Morgenstern ließ sich nicht beirren. Er stellte sich mitten ins
Zimmer und drehte sich langsam um die eigene Achse, als wolle er den Raum einscannen.
Er konzentrierte sich – tauchte weit ein in seine eigenen
Jugenderinnerungen. Dann ging er zum Bett, legte sich daneben flach auf den
Boden, streckte den Arm weit unter das hölzerne Gestell. Es machte zweimal
»ratsch«, und Morgenstern zog einen Schnellhefter mit rotem Umschlag hervor,
mit einer Miene, als sei er der Zauberer im Zirkus.
»Ein cleveres Versteck. Er hat es mit Tape unter den Lattenrost
geklebt.«
Ächzend richtete er sich wieder auf und begann unter den neugierigen
Blicken von Hofmeier und Hecht in dem Hefter zu blättern.
»Sein Privatarchiv.« Sorgfältig hatte Kevin ausgeschnittene Zeitungsmeldungen
und Fotos abgeheftet, alle handschriftlich mit Datum versehen. Eine penible
Dokumentation der Brände im Gemeindegebiet.
Hofmeier stöhnte auf.
»Er ist mit dem Moped weg?«, fragte Morgenstern. »Wir können hier
nicht ewig warten. Sobald er wieder nach Hause kommt, erwarte ich, dass er sich
bei uns meldet.«
Hofmeier nickte wortlos.
»›Moped‹ trifft’s übrigens nicht ganz. Das ist eine typisch bayerische
Tiefstapelei.« Hecht pflückte ein Foto von der Pinnwand, das Kevin auf einem
wuchtigen, völlig verdreckten Geländemotorrad zeigte.
Morgenstern steuerte seinen fünfundvierzigsten Geburtstag an. Kein
Grund zum Jubeln, fand er, wenn er an sich herabblickte. Er hatte in jüngster
Zeit leichtes Übergewicht bekommen. Er merkte das an seinem Gürtel, der ihm gut
fünfzehn Jahre treue Dienste geleistet hatte. Ein breiter brauner Ledergürtel
mit einer wuchtigen Metallschließe in Form eines Adlers. Verlässlich hatte
dieser Gürtel seit eh und je seinen Bauchumfang dokumentiert – immer hatte
Morgenstern ihn bequem bis zum vorletzten Loch festzurren können. Doch seit
einiger Zeit brauchte er ein Loch weniger. Zuerst hatte er es auf den Winter
geschoben. T-Shirt und Hemd trugen eben auf, hatte er sich eingeredet. Doch
nun, im Sommer, musste er sich eingestehen, dass das vorletzte Loch
Vergangenheit war. Wenn er den Bauch einzog, konnte er sich für eine Weile auf den
alten, schmalen Umfang zurückschnüren, aber spätestens wenn er sich auf einen
Stuhl setzte, musste er den Gürtel weiten. Neuerdings manchmal auch um zwei
Löcher – mit Tendenz zu drei. Eines Tages würde er in einen neuen Gürtel
investieren müssen.
Und dann gab es auch noch die Waage im Badezimmer. Dieses weitgehend
unbestechliche Digitalgerät, das ihm in Hundert-Gramm-Häppchen bescheinigte,
dass er im Laufe der vergangenen Jahre zugenommen hatte. Zehn Kilo, das waren
zwanzig Pfund. Gelegentlich hatte er schon in der von Fiona abonnierten
Frauenzeitschrift geblättert, wenn es ums Thema Abnehmen ging. Und es hatte ihn
gewundert, dass dort immer noch in Pfund gemessen wurde. Das war wohl ein
psychologischer Trick, um beim Abspecken ein größeres Erfolgserlebnis
vorzugaukeln. Wer vier Pfund verlor, durfte stolz
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