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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Kabi-Kiba, oder wie der auch heißt, wohnt.« Falk ließ nicht locker.
    Wiebke und Klaus antworteten nicht. Sie spazierten Hand in Hand in den nächsten Hinterhof. Ich wusste nicht mehr, in den wievielten Hof wir spaziert waren, sie zweigten unerwartet voneinander ab, ein Hof führte zu einem Teich und einigen Holzverschlägen, die mich an Norwegen, aber nicht an eine Großstadt erinnerten. An der unverputzt in den Himmel ragenden Brandmauer stand, von falkhohem Gebüsch fast verdeckt: Nach dem Dritten Weltkrieg kann niemand mehr bis vier zählen .
    Ich folgte meinen Eltern in einigem Abstand. Im letzten Hof erwartete uns ein riesiger Schuttberg, auf dem eine Skulptur thronte, die jemand aus mehreren Warndreiecken, Bettfedern, Mullbinden und Verbänden geschustert hatte. Neben der Skulptur lag ein regennasser halb offener Karton, aus dem Legosteine herausgefallen waren. Wiebke und Klaus waren begeistert und fotografierten die Skulptur, dann kickten sie wie Kinder gegen die Legosteine.
    Ich freute mich über ihre gute Laune. Schließlich liefen sie zurück in die anderen Höfe und schossen weitere Fotos. Sie machten akrobatische Verrenkungen, gingen in die Hocke und sprangen in die Luft.
    Klaus stieg auf einen Haufen alter Fernseher und krabbelte in einen zugemüllten Einkaufswagen. Es war geradezu rührend, wie er jedes Mal seine Lederschuhe mit einem Taschentuch abrieb und seine Hosenbeine abstaubte. Einmal blieb er stehen, hob eine bunte Glasscherbe auf und starrte sie lange mit verzücktem Gesicht an. Auch wenn wir Kabir nicht besuchten: Wiebke und Klaus schienen gefunden zu haben, was sie suchten. Zumindest für heute, für den Moment.
    Wir fuhren noch zu einem anderen Gebäude, von dem nur die Grundmauern standen. Die Backsteinmauern schienen graue Häubchen zu tragen, so viel Taubendreck lag auf ihnen. Ich fragte mich, ob diese Ruine noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte oder aus früheren Zeiten? Möglicherweise wussten Wiebke und Klaus das, aber ich fragte sie lieber nicht, weil sie solche Fragen grundsätzlich nur in Form von endlosen, belehrenden Monologen beantworteten.
    Wir stiegen alle wieder aus und stromerten auf dem Gelände herum. Überall lagen Ziegelsteine; das Gras war braun, nicht grün. Klaus schien etwas zu suchen, einmal kniete er sich sogar nieder, um durch eine Öffnung in einer der Mauern zu starren. Dabei machte er ein Gesicht wie ein kleiner Junge.
    Falk stapfte erst unschlüssig zwischen den Grundmauern herum, dann schien er etwas entdeckt zu haben. Jetzt sah ich auch, was es war: Auf einem kleinen Mäuerchen lag ein aufgeschlagenes Mad -Heft. Interessiert trat er näher und streckte eine Hand aus, da bequemte sich eine Ratte auf das Mäuerchen und legte besitzergreifend eine Pfote auf das Heft. Mein Bruder kapitulierte sofort. Die Ratte wandte ihren Kopf hin zu einem dunklen Loch und gab einen gellenden Pfiff von sich. Im nächsten Moment saßen drei Ratten auf der Mauer. Falk und ich trabten zurück zu unserem Scirocco, auf dessen Windschutzscheibe während dieser halben Stunde drei fette Taubenhaufen gelandet waren.
    Kaum saßen wir alle wieder im Auto, wurde die Straße von Polizisten abgesperrt. Wiebke hielt an. Vor uns schien eine Demo stattzufinden. Es war laut, überall wurde herumgebrüllt, und in der Luft hing ein stechender Geruc h – Tränengas. Wir sahen viele schwarz gekleidete Leute, die in Kettenformation liefen. Auf einem Plakat erhaschte ich das Wort Häuserkampf . Ich überlegte, wann ich das in einem anderen Zusammenhang gehört hatte. Häuserkampf . Hatte Klaus das gesagt? Ich bekam es mit der Angst zu tun, aber Falk stieg aus und stellte sich direkt hinter einen Polizisten. Er rückte ihm richtig auf die Pelle. Wiebke und Klaus blickten vom Auto aus unsicher zu ihm hin. Da drehte sich der kleine, beleibte Polizist um, hob den Kopf zu Falk, dem Hünen, und rief: »Verschwinde!«
    Falk schüttelte langsam und scheinbar unendlich betrübt den Kopf: »Ich mache das Gleiche hier wie Sie: zugucken. Ich wollte aber keineswegs den in europäischen Gefilden üblichen körperlichen Mindestabstand unterschreiten. Wie wir hier sehen, halten sich Ihre Leute strikt daran.«
    Vor uns fingen die ersten Polizisten an, auf Demonstranten einzuknüppeln, die in Ketten vor und zurück liefen.
    »Ihre Jungs haben keine Nerven«, fuhr Falk fort, »die sollten sich mal ein Beispiel an ihren Vätern mit ihrer Wehrmachtsschulung nehmen! Die würden sich nicht mit Gummiknüppeln

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