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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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herumplagen, sondern gleich schießen!«
    Der kleine Polizist drehte sich ganz zu Falk um und starrte verblüfft zu ihm hoch. Mein Bruder ging schulternzuckend zurück und stieg zu uns ins Auto. Seine langen schwarzgefärbten Haare wurden von Tag zu Tag verfilzter. Wiebke und Klaus warfen Falk verdruckst anerkennende Blicke zu.
    Auf der Weiterfahrt erzählte Klaus etwas von »Kunst am Bau«, gab aber zu, dass er sich mit dem Grundstück geirrt habe.
    »Aber dieses war doch auch schön«, sagte Wiebke und tätschelte ihm versöhnlich den Beifahreroberschenkel.
    Dass Klaus so ungern Auto fuhr, war schon etwas merkwürdig. Umweltverschmutzung, Lär m – die Argumente von Freunden meiner Eltern, die kein Auto hatten oder bewusst nur selten Auto fuhren wie Anna, galten für Klaus nicht. Er störte sich nicht an langen Autofahrten in den Urlaub, aber heute, hier in Berlin, wäre ihm eine U-Bahnfahrt lieber gewesen. Seiner Meinung nach war das Autofahren eine unurbane Angelegenheit, etwas für die Provinz. Dort kam man ohne Auto nirgendwohin und brauchte selbst zum Briefkasten oder zum Supermarkt vier Räder. Die einzig wahren Fortbewegungsmittel in der Großstadt waren für Klaus die eigenen Beine und die öffentlichen Verkehrsmittel. Er liebte Stadtspaziergänge und legte in dieser Hinsicht eine erstaunliche Ausdauer an den Tag. Und er liebte die U-Bahn und die großen Doppeldeckerbusse. Vom Fahrradfahren hielt er nicht s – das erinnerte ihn irgendwie auch an die Provinz. Manchmal hatte ich trotz dieser schlauen Rechtfertigungen den Verdacht, dass Klaus sich vor allem davor fürchtete, als Radle r – aus der Provin z – inmitten all der Berliner Autofahrer unterwegs zu sein. Über die hatte schließlich schon der letzte Verkehrspolizist aus der Kanzel am Ku’damm gesagt: »Dit sind doch keene Autofahrer, sondern allet nur Führascheinbesitza«, und darauf berief sich Klaus nur zu gern.
    Auf unserer Rückfahrt am Martin-Gropius-Bau vorbei sahen wir die Mauer. Falk, der die ganze Zeit mühevoll versuchte, halbwegs bequem zu sitzen, und nicht wusste, wo er seine langen Beine lassen sollte, murmelte unwirsch: »Das blöde Ding wird noch mal einstürzen.«
    Im Rückspiegel sah ich Wiebkes und Klaus’ erstaunte Gesichter.
    »Na, das Ding ist doch baufällig. Wegen schlechter Wartung stürzt die Mauer irgendwann einfach ein. Brösel, brösel, bestimmt. Und dann kann der Berliner endlich wieder seine Beine ausstrecken.«
    Ich kicherte. Im Rückspiegel sah ich die Lachfalten um Wiebkes Augen. Im nächsten Moment spürte ich Falks heißen Atem in meinem Nacken, seine Schneidezähne berührten meine Haut. Und schon tat ich ihm den Gefallen und quiekte panisch, bevor er » The crocodile is coming « sagen konnte.
    Doch dann drehte ich mich blitzschnell um: »Ameisenattacke!«
    »Nein, Jule, bitte nicht!« Mein Bruder, der Ein-Meter-neunzig-Mann mit dem durchdringenden Blick, winselte und sah mich mit einem seltenen Anflug von Unterwürfigkeit an. Flink krochen meine Finger unter seinen Pullover. Mein Bruder war so dünn, dass er meinen Kitzelattacken wehrlos ausgesetzt war. Er quiekte dreimal so laut wie ich eben und ruderte wild mit seinen langen Armen herum. Ein paar Zottelhaare flogen mir ins Gesicht.
    Erst nach einem dröhnenden »Ruhe hinten!« von Wiebke, die Lärm im Auto nicht ertragen konnte, sofern sie ihn nicht selbst produzierte, brach ich das Gekitzel ab. Falk seufzte erleichtert. Während ich mich in meine Ecke auf der Rückbank kuschelte, freute ich mich, dass die Ameisenattacke immer noch wirkte.

Zoo – Unspezifisches Merkwürdigsein
    »Wir gehen zum Zoo«, hieß es früher an Ausflugstagen immer. Wenn wir nicht auf dem Hof spielten, gingen wir in den Zoo. Wiebke hatte eine Jahreskarte für uns, und zusammengenommen verbrachten wir wahrscheinlich Monate dort. Der Berliner Zoo schien uns riesig, kaum hatten wir den Eingang passiert, verschwanden wir. The Wiebkes and the Klauses hatten keinen Kontrollwah n – es reichte ihnen zu wissen, dass der Zoo einen Zaun hat und wir darin nicht verloren gehen konnten. Der Zoo war ein gigantischer, in die Jahre gekommener Abenteuerspielplatz für uns. Die Geräte auf dem Spielplatz waren so verrostet oder blank getreten von Tausenden kleiner Kinderfüße, dass man ihre ursprüngliche Farbe nur noch erahnen konnte. Ab und zu klangen aus diesem verwilderten Labyrinth exotische Laute.
    Es gab eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den Eltern und uns: dass sie sich

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