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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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hatte sie mir bisher nicht erhellt; vielleicht gefiel Wiebke einfach das »Florida Boy« nicht.
    Falk und ich schwiegen wieder einmal. Ich wollte mich unterhalten, aber mein Bruder antwortete so einsilbig, dass mir die Lust dazu verging. Passenderweise hing seit Neuestem der Spruch If you don’t understand my silence, you won’t understand my words über Falks Plattensammlung .
    Nachdem ich die Namen patagonischer Gletscher auswendig gelernt hatt e – (irgendwie beruhigte mich dieses Wissen, dieses Wissen um Zauberorte, das mir niemand nehmen konnte), und dabei den ganzen Abend über Major Tom gehört hatte, stand ich wieder an meinem Fenster. Völlig losgelös t … Der Hof war dunkel und still. Manchmal sah der neuerdings vom Kanz so genannte Skulpturengarten wie ein Friedhof aus, mit all den hohen Steinen.

Patagonien – Frieden für die Ohren
    Wieder ein Mittwochnachmittag bei Fiona. Anna umgarnte uns, damit wir wieder Amnesty-Briefe schrieben. »Ich und Fiona haben auch gestern noch Zitronenbiskuit gebacken.«
    »Sag mal, gibt es nicht auch einen Fall in Patagonien?«, fragte ich, während ich mir die Kekse schmecken ließ.
    Anna sah mich überrascht an, dann schlug sie das ai informationen -Heft auf. »Patagonien? Wo ist das? Chile, Argentinien?«
    Ich plusterte mich auf: »West-Patagonien gehört zu Chile, Ost-Patagonien zu Argentinien.«
    Anna tat so, als hätte sie die Antwort nicht gehört.
    »Nein, Nicaragua, El Salvador, Rumänien und Obervolt a – falls das nicht reicht, Jule.«
    »Gibt’s nicht auch mal ’ne Menschenrechtsverletzung in Patagonien?«, bettelte ich.
    Anna runzelte die Stirn. »Willst du dir ein Gefängnis angucken? Du solltest froh sein, wenn wir da keinen Fall haben. Außerdem, wieso Patagonien, da unten gibt es doch nur Hochebenen und Pampa.«
    Diese Bemerkung war so niveaulos, dass ich mich nicht dazu herabließ, sie weiter zu kommentieren. Davon abgesehen war die Pampas eine andere Region als Patagonien.
    Dieses Mal sollten fast alle Briefe in Englisch, Spanisch oder in »flüssigem Rumänisch« geschrieben werden.
    »Das ist doch eine schöne Ergänzung zu eurem Englischunterrich t … eine viel interessantere Art, eine Fremdsprache zu erlernen«, versuchte Anna uns das Briefeschreiben schmackhaft zu machen. »Ich und Fiona haben gestern extra ein neues Wörterbuch gekauft!« Sie legte uns ein Riesenwörterbuch, schwer wie ein Ziegelstein auf den Tisch und verschwand mit einem Katalog im hinteren Teil der Wohnung.
    Anna verstand sich als Künstlerin, ihr Gebiet war die Textilkunst. Sie druckte abstrakte Motive auf bunte Stoff e – manche davon trugen Fiona und sie als Schals, andere lagen als Decken auf den Sofas und Betten ihrer Wohnung. Ein schöner, dunkelrot leuchtender Stoff diente als Raumteiler für das Berliner Zimmer der Klügers, die eine Hälfte war Annas Panflötenzimmer, der andere ihr Yogaraum. Ich fand die Stoffe hübsch, sie gefielen mir viel besser als Löche r – Gegenwelt oder unsere Straßenabsperrung an der Wand, aber Klaus meinte, das sei keine Kunst, sondern nur Kunsthandwerk. Auch ärgerte er sich, wenn ich von Straßenabsperrung statt von Antigone: 7, SCH ( M ) ERZ , gehör(n)t sprach. Er selber benutzte immer den ganzen, langen Namen. Immer. Alles andere wäre Frevel, Sünde, Ketzerei.
    Nachdem Fiona und ich die Amnesty-Briefe geschrieben hatten, setzte Anna noch Teewasser auf, und ich betrachtete die Fotos an Annas großer Pinnwand in der Küche. Da waren Bilder von Fiona, Isa und mir. Auf einem standen wir vor einer Brandmauer, die wir mit unseren Üs übersät hatten, und lachten. Auf einem anderen fuhren wir zusammen auf der Havel Schlittschuh und hielten uns an den Händen. Dann entdeckte ich ein Foto von Fiona mit ihren Eltern. Ich guckte mir das Ekel noch mal genau an. Mit diesen dunklen Locken und den großen braunen Augen war Fionas Vater bestimmt ein Frauenschwarm gewesen. Anna sah, wie immer, sehr gut au s – sie lachte auf dem Foto, wirkte jünger, als sie war. Auch sie hatte lange braune Haare und dunkle, große Augen. Und Fiona war sowieso schön wie eine kleine exotische Prinzessin. Wenn man sich dieses Foto anschaute, konnte man sich nur fragen, was da bloß vorgefallen war. Fiona wusste es selber nicht. Anna erwähnte nie eine Zeit zu dritt. Jeder zweite Satz von ihr begann mit: »Ich und Fion a …«
    Das Telefon klingelte. Anna huschte in ihren Harlekinschuhen über den Flokati und nahm ab. Ohne ein Wort zu sagen, reichte sie den

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