Haut aus Seide
von New York.
Für Lelas Gefühl war das jedenfalls sicher genug.
An diesem Montagmorgen – dem ersten Morgen ihres neuen Jobs – hatte die Sonne sie im Morgengrauen mit silbernen Strahlen geweckt, die durch die großen Sprossenfenster aus Metall fielen. Sie verwendete große Sorgfalt auf ihre Garderobe und zog sich drei Mal um. Vier Mal, wenn man die Unschlüssigkeit beim Thema Schuhe mitzählte. Schließlich entschied Lela sich für einen kurz ärmeligen Pullover mit Rollkragen im Stil der Fünfziger, einen schmal geschnittenen grauen Rock, eine alte Strasskette und ein Paar hochhackige Manolo Blahniks mit Riemchen. Ihre Füße würden sicher sterben, aber das Outfit vermittelte die richtige Botschaft. Solange sie auf den Dingern nicht hinfiel, bewegte sie sich genau auf
dem schmalen Grat zwischen lässigem Selbstbewusstsein und totalem Snobismus.
Du bist nur eine Verkäuferin , sagte sie zu ihrem Abbild in dem vom Alter gezeichneten Schlafzimmerspiegel. Du bist da, um den Laden zu beobachten, und nicht, um ihn zu schmeißen.
Trotz aller Selbstsicherheit waren ihre Hände ganz feucht und klamm, als sie den Rock glattstrich. Lela wollte diesen verrückten Plan unbedingt erfolgreich durchführen. Ja, sie war so versessen darauf, dass sie nicht wusste, ob sie ein Scheitern ertragen würde. Im Grunde hatte sie keine Ahnung, wieso sie sich mit einem Mal so leidenschaftlich dafür entschieden hatte, etwas aus ihrem Leben zu machen. Aber so war es.
Oder vielleicht wusste sie doch, was der Grund dafür war. Sie legte beruhigend eine Hand auf ihren Bauch und starrte auf ihr aschfahles Gesicht. Es waren Beas Bilder gewesen, die ganz plötzlich Ambitionen in ihr geweckt hatten. Sah man von ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Moderedakteurin ab – Arbeit, die sich ohnehin nur ab und zu ergab -, hatte Lela keinerlei verwertbare Talente. Sicher, einige Leute hätten ihre Talente im Bett angeführt, aber auch diese Fähigkeiten ließen sich nicht mit denen von Bea vergleichen.
Lela zog die Nase kraus. Sie konnte nicht für immer von einem Job zum anderen wechseln, sich allein auf ihren Charme verlassen und Rechnungen grundsätzlich zu spät bezahlen. Dabei ging es nicht mal ausschließlich um Geld. Sie wollte mehr sein als der denkwürdigste Fick ihres letzten Gespielen. Sie wollte Respekt.
Mit einem besorgten Stöhnen drehte sie sich vom Spiegel weg, ballte die Hände zu Fäusten und presste sie
gegen ihre Stirn. Sie würde es schaffen. Schließlich hatte sie Philip doch auch davon überzeugt, ihr eine Chance zu geben. Und so lieb er auch war, wenn er glaubte, sie würde an dieser Aufgabe scheitern, hätte er sie niemals eingestellt. Er musste ihr zutrauen, dass sie mit dem Job zurechtkam.
»Ich kann das«, sagte sie, um das versichernde, ruhige Timbre ihrer eigenen Stimme zu hören.
Lela sah auf die Uhr und biss sich auf die Unterlippe. Noch 20 Minuten, bevor sie los musste, um die U-Bahn zu erwischen. Vielleicht würde eine Scheibe Toast ihren nervösen Magen etwas beruhigen. Eins war sicher: Wenn sie in diesem Zustand zur Arbeit fuhr, würde man sie nach einer Stunde wieder rauswerfen.
Die Manhattan-Filiale von Meilleurs Amis hatte ihren Sitz auf der Fifth Avenue neben Versace . Die elegante Fassade mit den allegorischen Skulpturen war verrußt, aber nicht heruntergekommen. Und wieso auch? Ruß war die stolze Patina aller älteren Gebäude in New York – wie der Sepiaton auf einem alten Schwarzweißfoto. Der Stein unter der Schmutzschicht war eigentlich cremefarben. Der Bürgersteig, von den vielen Fußgängern schon ganz rissig, war gefegt, und auch das große Schaufenster glänzte frisch geputzt. Als Lela das bekannte goldene Logo der Firma sah, begann ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen.
Das könnte meins sein , dachte sie, meine Verantwortung.
Die junge Frau nahm die Schultern zurück und schritt durch die breite Doppeltür. Und sofort wurde das erste Problem des Ladens offensichtlich – zumindest in ihren Augen. Im Inneren hatte die Opulenz einer Pariser Boutique einem Minimalismus Platz gemacht, der zweifellos
elitär wirken sollte. Aber schließlich war dies das Zeitalter von Cocooning und Bequemlichkeit. Der nervöse Start des neuen Jahrtausends. Snobs oder nicht, die Kunden verlangten nach einem Überfluss an Luxus – und sei es auch nur, um ihnen die Sicherheit zu geben, dass die schönen Produkte dieser Welt und das Recht, sie zu besitzen, niemals versiegen würden.
Davon abgesehen
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