Haut aus Seide
waren die Verkäuferinnen wirklich ausgesprochen lahm.
Sie starrten Lela an wie paralysierte Fische. Kein einziger Gedanke in ihren hübschen Köpfchen und offensichtlich nicht mal ein Reflex, ihr irgendwie Hilfe anzubieten. Ob sie nun den üblichen betuchten Kundinnen glich oder nicht, ein Willkommenslächeln hatte sie mindestens verdient.
Die bring ich schon noch auf Vordermann , entschloss sie für sich. Und wenn nicht, setze ich sie gleich vor die Tür. Die Latina würde sie allerdings nur ungern ziehen lassen. Ihr umwerfendes Aussehen vermittelte der Kundin die starke, unterschwellige Botschaft, dass auch sie zu solch einer Schönheit werden könnte, wenn sie nur bei Meilleurs Amis einkaufte. Die Botschaft war zwar nicht rational, würde aber ganz sicher die Portemonnaies öffnen. So war Lela froh, als die braunäugige Schönheit als Erste ihre Starre aufgab.
Die Verkäuferin stupste ihre schlichtere, blonde Kollegin in die Seite.
»Hey, das muss das neue Mädchen sein.«
Lela setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und ging mit ausgestreckter Hand auf die beiden Frauen zu. Es war durchaus möglich, dass sie in diesem Leben nie über den Stand einer Verkäuferin hinauskommen würde, aber sie
wollte verdammt sein, wenn sie sich auch wie eine von ihnen benahm.
Simon hatte am Dienstag keine Verabredung zum Mittagessen. Mit der Aussicht, allein im Lutèce essen zu müssen, zog er es stattdessen vor, lieber ein Abschiedsgeschenk für Diane zu besorgen. Nichts zu Persönliches, aber auch nichts zu Unpersönliches. Er hatte das ganze Wochenende mit der Überlegung zugebracht, ihren Scheck zu zerreißen, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass auch Neunzehnjährige ihren Stolz hatten. Außerdem sagte das Zerreißen eines Schecks kaum so gut »ist schon in Ordnung« wie ein Geschenk. Die Unannehmlichkeiten, die mit Dianes Verschwinden einhergingen, mochten ihm zwar Schwierigkeiten bereiten, aber dennoch wünschte er ihr nur das Beste.
Als er die Eingangshalle durchquerte, die auf die 49. Straße hinausführte, winkte ihm der Rezeptionist kurz zu. »Ein schöner Tag für einen Spaziergang, Mr. G.«
Simon nickte und rieb sich die Falte zwischen seinen Augenbrauen. Siehst du , dachte er in Erinnerung an Dianes Brief, die Leute mögen mich. Schließlich hätte der Mann am Empfang nicht mit ihm sprechen müssen. Er hätte auch nur nicken können … so wie Simon es eben unfreundlicherweise getan hatte.
Verdammt , durchfuhr es ihn, und er biss die Zähne zusammen, bevor er durch die Drehtür nach draußen trat. Beim nächsten Mal würde er Hallo sagen. Beim nächsten Mal würde er freundlich sein.
Draußen herrschte ein Verkehrschaos: Autos, Taxis und Fußgänger, die sich in ihrer Eile, möglichst schnell nach Hause zu kommen, gegenseitig bedrängten. Nur
die Touristen blieben ab und zu stehen, um die hoch aufragenden Gebäude zu begaffen. Die Büroangestellten wichen ihnen mit geübten Bewegungen aus – fast wie Wasser, das Steine umfließt.
Simon reihte sich in den Strom der Menschen ein und lächelte still vor sich hin. Die Energie, die von der Menge ausging, knisterte angenehm auf seiner Haut. Dies war seine Stadt. Und es war sein Turm, bei dem die Touristen die Köpfe verborgen, um die Spitze erkennen zu können. Als er bei Saks nach rechts abbog, war seine Laune geradezu beschwingt. Die Schaufenster beeindruckten ihn nicht sonderlich. Da hatte Graves sich diesen Monat schon mehr Mühe gemacht. Das gab ihm sogar ein noch besseres Gefühl, und er ging eiligen Schrittes weiter. Simon machte sich nicht die Mühe, die Turmspitze der Kirche von Saint Patrick zu betrachten, deren gotische Eleganz ohnehin von den Olympic Towers überragt wurde. Wann war er eigentlich das letzte Mal in der Kirche gewesen? Es war zu lange her, als dass er sich noch erinnern konnte. Seine Mutter hätte schwer mit ihm geschimpft, wenn sie das gewusst hätte.
Er blieb vor den Auslagen der Versace -Filiale stehen. Vielleicht hätte Diane ja Freude an einem Seidenschal, den sie dann auch für Bewerbungsgespräche tragen könnte? Er klopfte mit dem Finger nachdenklich auf seine Lippen, ging dann aber weiter zu Meilleurs Amis . Deren Schaufenster war ebenfalls sehr sehenswert. Ein einzelner Scheinwerfer strahlte einen mit Samt bedeckten Sockel an, der aus einem Meer von Tüll aufzusteigen schien. Auf dem Sockel stand lediglich ein Paar Schuhe, die aussahen, als hätten sie zur Garderobe von Marie Antoinette gehört. Ihre Form
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