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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Ihre Schlüssel sind.«
    »In der Diele. Am Haken.«
    »Der Hausschlüssel auch?«
    »Ja. Aber wozu brauchen Sie meinen Hausschlüssel?«
    Statt einer Antwort hört sie nur fernes Vogelgezwitscher. Als sie ihn anschauen will, stellt sie fest, dass er aus dem Zimmer gegangen ist. Sie lässt sich in den Sessel zurückfallen; ihre Augen rollen nach oben unter die Lider. Sie sieht Sternbilder aus Licht und elektrischem Strom. Sie sieht springende Delphine und rubinrote Schuhe. »Zu Hause ist es am schönsten«, murmelt sie lächelnd. »Zu Hause.« Sie schwebt zu den Sternen hinauf, und Stevie ist bei ihr und hält ihre Hand.
    Mum, ich finde, du solltest jetzt aufstehen. Komm. Steh auf.
    Hallo, Stevie. Du bist ein guter Junge. Ein guter Junge.
    Hörst du nicht? Steh aus deinem beschissenen Sessel auf, du Dreckstück.
    Stevie - was redest du da?
    Hör auf, von ihm zu quatschen, und -
    Ihre Augen öffnen sich. Das Licht ist zu hell. Georges ist da, sein Gesicht ist ganz nah. Er lächelt.
    »Stehen Sie auf«, sagt er aufmunternd. »Kommen Sie mit.«
    Sie stemmt sich hoch. Er trägt Handschuhe, denkt sie. Hab ich noch gar nicht bemerkt. Er trägt Latexhandschuhe. Aber natürlich, heute ist alles merkwürdig, wirklich merkwürdig, wie in einem Traum.
    Er legt eine Hand unter ihren Ellbogen, und sie lässt sich von ihm zur Tür führen.
     

58
    Vor Jahren hatte ein Ausbilder zu Caffery gesagt, wenn ihm jemals bei einer Parade flau werden sollte, müsse er etwas Grünes anschauen, einen Rasen oder einen Baum. Farben hätten eine Wirkung auf das Gehirn; sie verhinderten, dass es einfror und den Betrieb einstellte. Als er jetzt auf der stillen Landstraße vor Georges Tanners Haus aus dem Wagen stieg, blieb er einen Moment lang stehen und ließ seine Augen auf dem grasbewachsenen Straßenrand ausruhen. Ein träges Rauschen erfüllte sein Hirn. Er hatte zu wenig geschlafen. Er brauchte jetzt einen klaren Kopf.
    Darcy hatte gesagt, Susan Hopkins habe Tanner beim Stehlen erwischt. Lucy hatte ihn erpresst; vielleicht hatte sie ihm gedroht, sich wegen der Bauchstraffung an die Ärztekammer zu wenden. Vielleicht hatte sie ihn auch beim Stehlen beobachtet - oder was immer sonst im Aufwachzimmer passiert sein mochte. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis er von der Erpressung genug gehabt und Lucy umgebracht hatte. Bei Susan Hopkins war es schneller gegangen. Vielleicht hatte sie ihn zur Rede gestellt. Vielleicht hatte der Mord an Lucy ihn so sehr in Wallung gebracht, dass er gleich danach noch einmal morden musste.
    Ein früher Schmetterling flatterte einsam über den Rasen und über die Hecke neben dem Haus, angelockt vom Blau eines unbenutzten Swimmingpools. Er war sehr sauber, nirgends grüner Schleim auf den blau gestrichenen Wänden. Caffery stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute daran vorbei. Etwa fünf Meter dahinter entdeckte er den typischen Sandhaufen mit dem Schachtdeckel eines Sickertanks. Das Haus selbst stand rechts von ihm, eckig und grau, ein gutes Stück weit abseits der ruhigen Straße. Alles wirkte ordentlich und gepflegt. Ordentlich und trotzdem nicht in Ordnung, dachte Caffery und ließ sich wieder auf die Fersen sinken. Irgendetwas hier wirkte faul.
    Er leckte über seine Handfläche, strich sich über das Haar und knöpfte sein Jackett zu. Das Haus hatte zwei Eingänge; eine blau gestrichene Tür zur Linken schien ins Haupthaus zu führen. Niemand kam, als er klingelte; also ging er zu der anderen Tür in einem Anbau mit flachem Dach, der rechtwinklig zum Haus stand. Die Fensterläden des Anbaus waren geschlossen. Links auf der kleinen Treppe unter einem schmalen Portikus war ein antiker Fußabkratzer in den Boden eingelassen. Er klingelte, wartete und las das neben der Haustür an die Wand geschraubte Messingschild: »Georges Tanner FRCS (Plast)« war dort in zierlichen Lettern eingraviert.
    Nichts rührte sich. Er ging an der Seite des Hauses entlang und schaute in die Fenster. Am Ende blieb er stehen. Hier waren die Fensterläden geschlossen. Er zog sein Schweizer Messer aus der Tasche, hebelte den Riegel auf und klappte den Laden zurück.
    Ungefähr zehn Zentimeter hinter dem Fenster ragte eine Hohlblockmauer auf. Er drückte die Nase an die Scheibe. Die Mauer reichte, so weit er sehen konnte, nach oben und nach beiden Seiten. Ungefähr sechs Blöcke rechts von ihm entdeckte er einen Lüftungsstein in der Wand.
     

59
    Wie schön, dachte er und lächelte die Scheibe an. Wie schön, Mr. Tanner, ich rieche

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