Haut
fiel ihr etwas auf, und plötzlich bewegte sich alles in Zeitlupe.
Der Geruch.
Sie starrte das Schloss an. Schnupperte. Wenn sie darüber nachdachte, hatte der Wagen am Morgen auf dem Weg zur Arbeit auch schon so gerochen. Und gestern. Vielleicht war das Team gar nicht schuld daran, dass es in den Büros so stank. Vielleicht hatten sie die Ausrüstung wirklich ordentlich gereinigt. Ihr Wagen hatte draußen neben der Klimaanlage gestanden. Der Geruch konnte vom Kofferraum ins Gebäude gesaugt worden sein.
Vor vier Tagen war Thom abends mit dem Wagen zu einem Meeting gefahren.
Fuck, fuck, fuck, dachte sie. Thom? Du warst äußerst aufgeregt in dieser Nacht. Viel zu sehr. Lag es wirklich nur am Alkohol und an dem Polizeiwagen, der dir gefolgt ist?
Sie richtete sich auf, trat vom Wagen zurück und ließ den Blick über den Garten und die Zufahrt wandern. Ihr Elternhaus stand auf einer entlegenen Anhöhe, aber sie besaß Nachbarn, die Oscars, die sie oft aus ihren Fenstern hoch über der Einfahrt beobachteten. Heute war aber keiner von ihnen zu sehen. Ein Glück. Mit gesenktem Kopf ging sie zur Garage und öffnete das Tor. Dann kehrte sie zum Wagen zurück und setzte sich ans Steuer. Wieder stieg ihr der Geruch in die Nase. Wieso, zum Teufel, war ihr das die ganze Zeit nicht aufgefallen?
Sie wendete den Wagen vor der hohen Hauswand der Oscars, dass der Kies aufspritzte, und fuhr rückwärts in die Garage. Es war eine Dreiergarage, aber auch als ihre Eltern noch lebten, hatte nie ein Wagen daringestanden. Stattdessen türmte sich der Plunder der Familie die Wände entlang: alte Rasenmäher, ein viktorianischer Badezuber aus Gusseisen, verrostete Gartenscheren, eine Gefriertruhe, ein zusammengerolltes Zelt. Aufgereiht in einer Ecke standen ein paar alte Tauchflaschen ihres Vaters. Es war gerade noch genug Platz, für den Wagen. Die Auspuffgase erfüllten den Raum und verpesteten die Luft.
Sie stellte den Motor ab, stieg aus und zog krachend das Garagentor herunter. Dann schob sie die inneren Riegel vor; sie waren rostig, weil kein Mensch sie je benutzt hatte. In einem Wust aus Werkzeug neben der Tür lag ein Stemmeisen. Sie ging damit zum Kofferraum, schob es vorsichtig unter die Verriegelung und hielt dann inne. Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Sie atmete tief ein und drückte das Eisen mit aller Kraft herunter. Der Deckel flog auf, und ein Schwall stinkender Luft stieg ihr in die Nase. Im Kofferraum lag eine aufgedunsene Leiche.
»Scheiße.« Sie schlug den Deckel zu und trat einen Schritt zurück. Das Stemmeisen fiel klirrend zu Boden. »Scheiße.« Sie hob die Hände in die Höhe und starrte schwer atmend auf den Kofferraum. Was, zum Teufel, hatte Thom getan?
Sie ballte die Fäuste. Lockerte sie wieder. Nahm das Stemmeisen vom Boden und hebelte den Kofferraumdeckel wieder auf. Als er aufklappte, hielt sie Abstand.
Es war eine Frau. Sie lag auf der Seite; ihr linker Arm war unter den Körper gequetscht, der rechte Ellbogen lag in einem unnatürlichen Winkel über ihrem Gesicht. Sie trug eine violette Samtjacke und ein neongrünes Kleid mit einem Gürtel. Vier Tage lang hatte die Sonne auf den Wagen geschienen und sie gekocht und geschmort; ihre Glieder waren davon dick und glänzend angeschwollen - so sehr, dass die Riemen ihrer hochhackigen silbernen Sandalen im Fleisch verschwunden waren. Flea konnte einen kleinen Teil ihres Gesichts sehen; Augen und Lippen waren aufgequollen und fleckig wie bei einem Frosch.
Sie schloss den Kofferraumdeckel und betrat mit zittrigen Knien durch die Seitentür das Haus; sie stieß die Tür mit dem Fuß zu, lehnte sich an die Wand und rutschte daran auf den Boden. Sie schlang die Arme um die Knie, ließ den Kopf hängen und starrte ausdruckslos ihre Beine in der dunkelblauen Hose an. Der pure Wahnsinn. Es war Wahnsinn.
Nach einer Weile stand sie wieder auf, ging durch die Zimmer und sammelte alle möglichen Dinge ein, bis sie zusammengetragen hatte, was sie brauchte: Packpapier, Klebstreifen, eine Atemmaske, wie sie und ihr Team sie bei der Leichenbergung benutzten, und die blauen Innenhandschuhe, die sie beim Tauchen in verunreinigtem Gewässer trug.
Sie kehrte in die Garage zurück - der Geruch war jetzt unerträglich, und schon summten ein paar Fliegen um den Kofferraum herum -, und stieg dort auf eine Kiste und klebte das Packpapier an die Fenster. Sorgfältig drückte sie den Klebstreifen an die Ränder, damit niemand, von draußen hereinschauen konnte. Dann
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