Haut
örtliche Polizei hatte sich nicht damit befasst, und bei diesen Unternehmen konnte man viel Geld verdienen. Für Arnos war es nur der Anfang einer kriminellen Laufbahn, die ihn bald zum Handel mit menschlichen Körperteilen und schließlich nach Großbritannien führte. Im vergangenen Dezember war jemand namens Andrew Chipeta bei einem Allgemeinmediziner in Southall, London, aufgetaucht und hatte um eine Überweisung an einen Spezialisten gebeten. Der Arzt hatte sich die deformierte Wirbelsäule, den übergroßen Brustkorb und den Gorillakiefer angesehen und eine Reihe von Diagnosen in Betracht gezogen: Skoliose, Kyphose, diastrophische Dysplasie. »Andrew« hatte jedoch eilig das Weite gesucht, als der Arzt ihm die Fragen stellte, die bei jedem neuen Patienten üblich waren - Fragen nach Adresse, Lebensumständen, Alter, Herkunft.
Arnos Chipeta. Wer oder was war also der Tokoloshe? Lediglich ein von Geburt an verkrüppelter junger Mann? Fristete er irgendwo da draußen sein Dasein - Gott allein wusste, wie - und suchte in einem kalten, fremden Land Hilfe? Und fand trotzdem Schönheit und Reinheit und vielleicht sogar Liebe im Gesicht einer Zwanzig-Pfund-Nutte aus Hartcliffe? Oder war er ein Monster? Ein Halbmensch, der durch Schlamm und schmutziges Wasser kroch und seinen Lebensunterhalt damit verdiente, dass er Gräber ausraubte und Leichen die Haare abschnitt?
Caffery schloss abwechselnd das eine und das andere Auge und ließ das Licht des Fernsehers durch das flüssige Gold in seinem Glas prismenartig funkeln. Vor Jahren in London - er musste damals ungefähr fünfzehn gewesen sein - war er in ein Mädchen in seiner Schule verliebt gewesen. Ihren Namen wusste er nicht mehr. Aber wie der Typ hieß, in den sie verliebt war, das wusste er noch: Tom Cadwall. Und er wusste auch noch, wie er eines Morgens in aller Frühe in den Garten der Cadwalls eingedrungen und auf einen Baum geklettert war. Er hatte da oben an den Ästen gehangen wie eine Beutelratte. Den ganzen Tag war er da geblieben in der Hoffnung, einen Blick in Tom Cadwalls Zimmer werfen zu können. Er hatte wissen wollen, was Cadwall besaß und er nicht.
Er döste ein, die eine Hand um das Glas auf seiner Brust gelegt. Er sah Tom Cadwall. Sah ihn, wie er vor all den Jahren an seinem Fenster stand. Er sah, wie eine Frau in das Zimmer trat und mit ihm sprach. Sie war zierlich und drahtig, ihr üppiges Haar gebleicht von Sonne und Salzwasser. Sie ging durch das Zimmer und lehnte sich an Tom, schnupperte an seiner Brust, griff mit der Hand an seinen Hinterkopf, flocht ihre Finger in seine Haare und fing an, sie auszureißen.
Caffery schrak aus dem Schlaf. Das Glas rollte von seiner Brust und fiel auf den Boden. Mit klopfendem Herzen und gesträubten Nackenhaaren lag er da. Etwas hatte ihn geweckt. Etwas befand sich im Zimmer.
Langsam, und ohne den Rest seines Körpers zu bewegen, zog er die Hand hinter dem Kopf hervor und hob sie so, dass er blitzschnell zuschlagen konnte. Er atmete langsam und beherrscht, sodass jemand, der ihn beobachtete, glauben musste, er sei ganz ruhig. Er ließ den Blick durch das Zimmer wandern, um herauszufinden, wo der Scheißkerl sich versteckt haben könnte. Er dachte an die Hardballer. Sie lag draußen im Handschuhfach seines Wagens.
In einer schnellen Bewegung fuhr er herum, packte die Flasche auf dem Nachttisch und hielt sie vor sich. Er spähte in die Dunkelheit. »Okay.« Er atmete schwer. »Was immer du willst - fang schon an. Bringen wir's hinter uns.«
Alles, was er sah, war das Flimmern des Fernsehers. Eine Versicherungswerbung: Eine Bulldogge nickte in die Kamera. Von unten hörte er das Brummen des Kühlschranks in der Küche. Er schlug die Bettdecke zurück und strich mit der flachen Hand über das Laken. Es war zerknittert und uneben. Feucht. Und jetzt roch er abgestandenes Wasser. Flüsse und Steinbrüche. Der Scheißkerl hatte in seinem Bett gelegen.
Er schleuderte die Decke auf den Boden. Unter dem Kopfkissen funkelte etwas. Eine Schere. Seine eigene Nagelschere aus dem Badezimmerschrank. Eine Schere wie die, mit der Jakes die Haare abgeschnitten worden waren.
Er fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf. Ganz unten im Nacken, am Haaransatz, war eine winzige kahle Stelle. So groß wie ein Penny.
Er atmete tief und langsam ein und aus, um sich zu beruhigen.
Das kleine Fenster stand offen, aber nur der obere Flügel. Nichts und niemand konnte da hereingekommen sein. Und unten? War es möglich, dass da
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