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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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noch einmal. Drinnen bewegte sich nichts. Das Teleskop stand einen halben Meter von ihr entfernt. Sie versuchte herauszufinden, worauf es gerichtet war. Dann spähte sie zur Straße hinunter. Die Reifenspuren im Asphalt waren von hier aus gut zu sehen. Klar und deutlich. Unübersehbar.
    Genug. Das war genug. Jemand hier konnte den Unfall beobachtet haben.
    Sie ging durch den Garten zurück und hockte sich auf die noch warme Motorhaube des Clio. Hier war sie weder von der Straße noch vom Haus aus zu sehen. Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer der polizeilichen Kommunikationsabteilung.
    Sie und Thom mussten sehr, sehr vorsichtig sein. Sie musste jedes Risiko vermeiden, und sei es noch so klein.
     

29
    Ganz unten in Fleas marineblauem Rucksack lag der Teilnehmerausweis des Taucherkongresses, den sie im vergangenen Monat besucht hatte. Sie wühlte ihn heraus, hängte ihn um den Hals, stopfte ihr Haar unter eine Baseballmütze und ging wieder hinauf zum Bungalow. Die Kommunikationsabteilung der Avon and Somerset Police führte Buch über jede Adresse in ihrem Zuständigkeitsbereich. Die sogenannten STORM-Logs enthielten detaillierte Angaben über die Einwohner und ihre jeweiligen Kontakte zur Polizei, und aus ihnen ging hervor, dass die Eigentümerin des Bungalows Mrs. Ruth Lindermilk hieß; in den letzten zehn Jahren war es nur einmal vorgekommen, dass die Polizei zu dieser Adresse gerufen worden war - wegen des tätlichen Angriffs einer Frau mittleren Alters gegen einen Mann. Ein Luftgewehr war ohne Gegenwehr beschlagnahmt und in die Waffenkammer im Hauptquartier eingeliefert worden, aber es hatte keine Festnahme gegeben.
    Die Türklingel funktionierte nicht, und einen Türklopfer gab es nicht; also schlug Flea zwei- oder dreimal gegen den Briefkasten. Niemand öffnete. Sie klopfte noch einmal, trat dann zurück und spähte zum Dach hinauf. Sie sah, dass der Schwanz der Fibrestone-Katze, der aus dem Kamin ragte, verblichen und rissig war.
    Sie drehte sich um und ließ den Blick über die Ortschaft wandern. Der Bungalow war das einzige Haus mit Blick auf die Straße. »Atemberaubender Ausblick auf das Weiße Pferd von Westbury«, würde es in einem Maklerprospekt heißen. Sie wollte gerade wieder auf die Terrasse zurückkehren, als sie hörte, wie an der Haustür eine Kette zurückgezogen wurde. »Ja? Was gibt's?«
    Die Haustür hatte sich einen Spaltbreit geöffnet, und zwei Augen mit schweren Tränensäcken spähten unter einer Matrosenmütze hervor. Es waren die Augen einer Frau; das erkannte man an ihrer Größe und ihrem weicheren Blick. Eine wachsame, misstrauische Frau, sonnengebräunt und mit einer flachen Nase. Sie sah aus, als hätte sie das harte Leben eines Mannes unter freiem Himmel geführt.
    »Hallo.«
    Die Augen musterten sie argwöhnisch. »Wer sind Sie? Eine Zeugin Jehovas? Verschwinden Sie lieber von meinem Grundstück.«
    »Nein.«
    »Wenn Sie mir was verkaufen wollen, können Sie ebenfalls abhauen. Ich mag keine verdammten Vertreter an meiner Haustür.«
    »Nein, ich will Sie nur sprechen.«
    »Das ist ein Witz. Verschwinden Sie jetzt.«
    »Sind Sie Ruth?«
    Die Frau schwieg.
    »Ruth Lindermilk?«
    »Wer sind Sie?«
    Flea nahm die Baseballmütze ab, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und gab sich möglichst natürlich. »Ich heiße Phoebe.«
    »Ja - aber wer sind Sie?«
    »Ich bin von der Straßenbehörde.« Sie hob ihren Ausweis und verdeckte die Worte »Somerset Police« mit dem Finger. »Von der Stadt?«
    »Yep.«
    Etwas in Ruth Lindermilks Gesicht veränderte sich. »Wegen der Briefe?«
    »Wegen der... ? Ja. Kann ich reinkommen?«
    Ruth Lindermilks Blick hastete von rechts nach links, um herauszufinden, ob jemand sie beobachtete. »Sind Sie allein? Niemand bei Ihnen?«
    »Niemand. Nur ich. Kann ich reinkommen?«
    Die Frau zögerte, musterte Flea noch einmal von oben bis unten. Das T-Shirt, die Combathose. Dann öffnete sie die Tür. Flea trat ein. Mrs. Lindermilk schlug die Tür zu und ging durch einen schmalen, kurzen Korridor. Es war dunkel. Flea folgte dem geisterhaft weißen Schimmer ihrer Mütze mit leicht eingezogenem Kopf; sie spürte, dass die Decke plötzlich niedrig werden könnte, genau wie zu Hause. Ein Geruch hing in der Luft, eine Mischung von vor langer Zeit gekochtem Essen und Alkohol. Kein Whisky. Etwas Süßeres, vielleicht Mixdrinks mit Rum.
    »Ich bin wie eine Schlange.« Mrs. Lindermilk blieb im Dunkeln stehen. Ihr Atem rasselte. Vor ihnen drang

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