Haut
dem Atelierschlüssel in Lucys Wohnung zu kommen. Dafür würde er ungefähr zwei Stunden brauchen, und Caffery solle nicht früher da sein. Caffery war nicht überrascht, ihn schon anzutreffen, als er zehn Minuten zu früh eintraf.
Mahoney erwartete ihn an der Haustür. Sie verschwendeten keine Zeit mit Begrüßungen. »Ist das Atelier offen?«
»Ja.«
Mahoney ließ ihn herein und ging mit schweren Schritten die Treppe hinauf. Vor der Ateliertür blieb er stehen. »Ich hab alles so gelassen, wie es war. Hab nichts angerührt.«
»Natürlich nicht.«
»Alles hier drin ist Lucys Auswahl. Sachen, die sie ausgesucht hat. Verstehen Sie?«
Mahoney schloss die Tür auf und öffnete sie. Als Caffery an ihm vorbeiging, mied er seinen Blick; er folgte ihm hinein und blieb dann, ohne ein Wort zu sagen, mit verschränkten Armen in der Ecke stehen.
Das Zimmer war groß; anscheinend war es als Elternschlafzimmer gedacht. Caffery erkannte die Umgebung wieder, in der das zweite Video mit Lucy gedreht worden war. Die Wände waren metallicfarben gestrichen, und überall hingen Gemälde. Sie hatte den Raum mit einem bemalten orientalischen Wandschirm abgetrennt. Der Teil mit der Tür war voll von Bildern: Fast zwanzig Leinwände lehnten an der Wand, und vier weitere standen dem Fenster gegenüber auf Staffeleien. Er ging auf die andere Seite des Wandschirms, weg vom Fenster, und sah sich um.
Pooley hatte recht gehabt. Lucy besaß einen ungewöhnlichen Geschmack. Die fast lebensgroße Bronzestatue einer nackten Frau beherrschte den Raum. Vornübergebeugt reckte sie den Hintern in die Höhe und offenbarte jedes Fältchen zwischen ihren Beinen. Eine Reihe kleinerer Holzskulpturen war vermutlich vom Kamasutra oder etwas Ähnlichem inspiriert. An der Wand hingen mehrere Aktgemälde: Männer und Frauen, manchmal allein, manchmal zusammen. Sie sahen so amateurhaft aus, dass sie wahrscheinlich von Lucy stammten. Auf einem kleinen Tisch in der Ecke stand eine Schatulle die so aussah wie die im Emporium: ein mit Samt ausgeschlagener Schaukasten mit Kristallpenissen und Nippelklemmen aus Zinn. Es war genau so, wie Pooley es beschrieben hatte.
Schweigend ging Caffery um den Wandschirm herum auf die andere Seite, wo sich die anderen Gemälde befanden. Er sah Mahoney nicht an, sondern spähte in ein Glas, in dem ein Bündel Pinsel mit den Borsten nach unten in Terpentin stand. Gemächlich schob er sie mit den Fingerspitzen hin und her, als hätte er nichts weiter im Sinn, und spazierte dann an den Leinwänden vorbei. Es handelte sich hauptsächlich um Himmelsbilder: Wolken, Vögel, ein Windvogel. Alle waren in einem Blauton gehalten, der eine Erinnerung in ihm wachrief. Eine seiner Exfreundinnen in London war Malerin gewesen, und sie hatte von gesättigten und reinen Farben geredet, von Tönen am blauen oder roten Ende des Spektrums. Caffery hatte es nie ganz verstanden, und ihm fehlten die Begriffe, um dieses Blau zu beschreiben oder zu erklären, warum es ihm bekannt vorkam.
»Sie sind alle in der gleichen Farbe«, stellte er in gleichmütigem Ton fest.
»Die hat sie geliebt.« Mahoney hielt immer noch seinen Blick gesenkt und schaute auf seine Füße. »Hat sie selbst gemischt. Sie sagte, das sei ihr Markenzeichen.«
Caffery schwieg einen Augenblick. Er stand zwischen den Bildern und betrachtete Mahoneys grauen Anzug.
»Colin, ich hab Sie nie gefragt. Was machen Sie eigentlich? Beruflich, meine ich?«
»Ich? Ich bin staatlich geprüfter Finanzplaner.«
»Was ist das? Ein Versicherungsvertreter?«
»Ein Berater in Verlustfällen.«
»Also ein Versicherungsvertreter?«
»Heutzutage nennen wir es eher Haftungsberater. Oder Risikomanagementagent.«
»Aber Sie sind Versicherungsvertreter.«
Mahoney hob den Kopf und sah ihn an. Dann zog er eine Leinwand heraus und hielt sie in die Höhe. Sie war vielleicht einen halben Meter hoch und ebenso breit und zeigte das Gesicht eines kleinen Mädchens aus nächster Nähe. Das Kind trug eine Schleife in den blonden Haaren. Wieder dieses Blau. »Das war das erste Bild, das sie von Daisy gemalt hat.«
»Hübsch.« Caffery zog das Foto von Susan Hopkins aus der Tasche und hielt es Mahoney vor das Gesicht. »Wissen Sie, wer das ist?«
Mahoney drehte den Kopf zur Seite, als ob das Foto einen üblen Geruch verströmte. »Sie brauchend mir nicht so dicht unter die Nase zu halten.«
»Ich hab gefragt, ob Sie wissen, wer das ist.«
»Nein, ich hab sie noch nie gesehen.«
»Kennen Sie den Namen
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