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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Wort für ihn einlegten. Nicht ein einziges Mal seit Bellas und Ollys Geburt kam es vor, dass er besetzt wurde, weil er einen Regisseur durch ein phänomenales Vorsprechen beeindruckt hatte.
    Pflichtschuldig reiste Lara mit den Zwillingen quer durchs Land, damit dann die Garderobiere für einen Zehner auf die beiden aufpasste, während sie ihren Ehemann auf der Bühne sah. Sie erinnerte sich noch an den Moment in einem Theater irgendwo oben im Norden – während eines Agatha-Christie-Stücks, wie es der Zufall wollte –, als bei ihr der Groschen endlich fiel. Sie hatte nie in Frage gestellt, dass Marcus schauspielerische Begabung besaß. In den langen entbehrungsreichen Monaten zwischen Engagements weigerte er sich strikt, irgendetwas anderes zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Zwar sagte er nie ausdrücklich, dass dies unter seiner Würde sei, er behauptete jedoch immer, dass es ihn vom Eigentlichen ablenke. Er müsse frei sein für die Schauspielerei, sagte er.
    Aber als sie an jenem besagten Tag im dunklen Zuschauerraum saß und ihm beim Spielen zusah, wurde ihr klar, dass etwas ganz Entscheidendes fehlte. Sein Nacken und seine Schultern waren verkrampft; seine Stimme klang ein wenig gepresst. Was früher bei ihm so natürlich gewirkt hatte wie Atmen, kam ihr jetzt gekünstelt und bemüht vor. Er hatte die schlimmste aller Schauspielersünden begangen: Er war unglaubwürdig geworden.
    Die glanzlose Inszenierung – eine gestelzte postmoderne Interpretation ohne die nötige Portion Ironie – tat ihr Übriges. Trotzdem ließ sich die Wahrheit nicht verleugnen: Marcus spielte hundsmiserabel.
    Als sie nach dem Stück hinter die Bühne kam, konnte sie ihm das natürlich nicht sagen. Niemand wird es ihm je sagen, dachte sie, als sie ihn küsste und verkündete, er sei großartig gewesen. Die Engagements würden einfach nach und nach weniger werden, sobald diejenigen, von denen er beruflich abhing, zu derselben Erkenntnis gelangt waren wie sie. Damals, als die Kinder noch klein gewesen waren, hatte sie sich dafür verabscheut, dass ihr der Respekt für ihn abhandengekommen war. Sie hatte ihre Wahl getroffen und bemühte sich, dazu zu stehen. Die Gewissheit jedoch, dass er ein schlechter Schauspieler war, machte es ihr sehr schwer.
    Sie seufzte bei der Erinnerung und betrachtete die zwei Koffer, die nebeneinander auf dem wackligen Bett lagen. Ihre eigenen Kleidungsstücke waren zu Zigarren aufgerollt, so wie es ihre in allen Haushaltsdingen bewanderte Mutter ihr gezeigt hatte, wenn sie zu einer ihrer Pauschalreisen nach Korfu oder Mallorca aufgebrochen waren. »Man bringt mehr unter«, hatte sie gesagt. »Und das bei minimaler Faltenbildung.« Diese Angewohnheit ihrer Mutter, sich wie eine wandelnde Reklamebotschaft auszudrücken, hatte Lara stets irritiert. Es war eine der vielen Eigenschaften, die sie nun auch an sich selbst entdeckte – kleine genetische Ticks oder Gewohnheiten, die Eltern, ob nun absichtlich oder unabsichtlich, an ihre Nachkommen weitergaben, um sie zu verkorksen.
    Das wilde Durcheinander aus Chinos, schlabberigen Shorts und T-Shirts in Marcus’ Koffer bewies, dass er auf schicke Kleidung keinerlei Wert legte und seine Sachen nicht gerade pfleglich behandelte.
    Es war diese chaotische Seite an Marcus, die ihr das Arbeiten zu Hause irgendwann unmöglich gemacht hatte. Er respektierte weder ihre Zeit noch ihren Raum, unterbrach sie bei der Arbeit, um sie zu fragen, wo das Toilettenpapier sei, und lud scharenweise arbeitslose Schauspielerkollegen ein, die dann den ganzen Tag herumsaßen, Tee tranken – nachmittags gingen sie irgendwann zu Wein über – und sich mit wohltemperierten Stimmen über diesen Regisseur oder jenen Agenten ausließen.
    Lara saß währenddessen an ihrem Schreibtisch im Wohnzimmer und versuchte, sich auf ihre Quark-Express-Layouts zu konzentrieren. Es war ihre Aufgabe, Ordnung und Struktur in die nackten Texte zu bringen, die sie von ihren Kunden bekam, und der Lärm und die Verzweiflung um sie herum taten ihr regelrecht weh.
    Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich ein Büro anzumieten, aber ein solcher Schritt kam ihr zu gewagt vor. Mit ihren vierundzwanzig Jahren war sie noch jung und unerfahren. Sie hatte keinen Sinn fürs Geschäftliche – ihre Honorare etwa waren immer viel zu niedrig –, außerdem war sie zu Hause viel zu stark eingespannt, als dass sie irgendwelche größeren Risiken hätte eingehen können.
    Als sie dann von der freien Stelle bei der

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