Hautnah
Stadtverwaltung hörte, zögerte sie nicht lange. Das Gehalt war nicht gerade fürstlich, aber es reichte, um die laufenden Kosten zu decken, und die Arbeitszeiten waren ideal: halb zehn bis drei, fünf Tage die Woche. So hatte Marcus das Haus für sich, und falls er beruflich mal für ein paar Tage wegmusste, versank trotzdem nicht gleich alles im Chaos. Sie bewarb sich um die Stelle und bekam sie auch, obwohl sie das Gefühl hatte, sie sich irgendwie erschummelt zu haben.
Und wohin hat mich das gebracht?, fragte sie sich, während sie nun Marcus’ Kleider in das Regal über die Sachen von Jack räumte. Nicht sehr weit.
Sie hängte sein einziges gutes Stück, ein Hemd von Paul Smith, das sie ihm letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, auf einen Bügel. Es war wunderschön: blau mit winzigen rosafarbenen Blümchen. Trotzdem konnte sie es nicht ansehen, ohne daran denken zu müssen, wie wütend er gewesen war, weil sie so viel Geld dafür ausgegeben hatte. Dabei hatte er mit seiner Schätzung noch deutlich zu niedrig gelegen.
Schon nach der ersten Woche war ihr aufgegangen, dass sie mit der Stelle bei der Verwaltung ihrem Ehrgeiz ein Grab geschaufelt hatte. Im Büro wimmelte es von Leuten, die sich einen sonnigen Lenz machten: Jedes Anzeichen von Enthusiasmus wurde von ihnen mit Argwohn zur Kenntnis genommen. Dazu kam, dass sie keinerlei Achtung für ihren Teamleiter übrighatte, einen wankelmütigen Mann Anfang vierzig, der nicht in der Lage war, auch nur eine einzige Entscheidung zu treffen.
Trotzdem behielt sie die Stelle, weil sie in ihr Leben passte. Und als Jack – ihr glücklicher Betriebsunfall, wie Marcus ihn nannte – zur Welt kam, erwiesen sich die Mutterschaftsregelungen der Verwaltung als äußerst generös. Mit sechs Monaten bekam Jack einen bezuschussten Platz in der verwaltungseigenen Kinderkrippe, und Lara ging wieder arbeiten. Alles lief so reibungslos, dass ihr ursprünglicher Plan, ihr sicheres, bereits um mehrere Stufen in der Gehaltstabelle gestiegenes Einkommen aufzugeben, um sich wieder selbständig zu machen, geradezu wahnwitzig erschien.
Aber irgendetwas musste sich ändern. Sie langweilte sich. So sehr, dass sie manchmal am liebsten geschrien hätte. Nach der Heirat mit Marcus hatte sie sich vorgestellt, sie würden das glanzvolle Leben von Bohemiens führen. Stattdessen war sie nun eine städtische Angestellte mit Rentenkonto und Wochenarbeitsplan.
Mittlerweile war sie älter und erfahrener. Sollte sie jetzt beschließen, sich selbständig zu machen, würde sie damit Erfolg haben, das wusste sie. In ein paar Jahren könnte sie ihr eigenes Büro haben – sie stellte es sich modern vor, mit Treppengeländern aus gespannten Stahlseilen und heller Eiche – und dazu noch zwei oder drei Angestellte, die an Projekten für jene geheimnisvollen Blue-Chip-Unternehmen arbeiteten, die so gute Honorare zahlten.
Der Pakt, den sie nach der Abtreibung mit sich selbst geschlossen hatte, sah Folgendes vor: Wenn sie schon keine weiteren Kinder haben würde, dann wenigstens eine Karriere. Sollte ihre Ehe nach all den Jahren noch eine Überlebenschance haben, musste sie dafür sorgen, dass sie selbst glücklich war.
Sie setzte sich auf das quietschende Bett und räumte als Letztes ihre eigenen Sachen aus dem Koffer. Was hatte sie sich beim Packen gedacht? Außer ihren Joggingsachen und den Kleidern, die sie auf der Reise getragen hatte, hatte sie lediglich eine olivgrüne Leinenhose, ein grünes ärmelloses Top, zwei T-Shirts, eine tintenblaue Tunika, ein Boden-Kleid aus schwarzem Jersey sowie ein rosafarbenes Blümchenkleid eingepackt. Sie hatte es vor Jahren in einer schlanken Phase gekauft und hoffte, dass sie immer noch hineinpasste. Die paar Sachen würden niemals reichen. Nicht einen ganzen Sommer lang.
Unsicher, was sie zu dem Barbecue anziehen sollte, beäugte sie das rosafarbene Kleid. Ohne sich Gelegenheit zu geben, einen Rückzieher zu machen, streifte sie ihre Sachen ab und zog es sich über den Kopf. Es war tief ausgeschnitten, mit einer leicht verstärkten und figurbetont geschnittenen Frontpartie, die man wie ein Korsett schnürte. Sie strich die Vorderseite glatt und betrachtete sich in dem angelaufenen mannshohen Spiegel, den jemand, zweifellos in der Überlegung, dass ohne ihn das Schlafzimmer eines Schauspielers nicht komplett wäre, an der Wand aufgestellt hatte.
Zufrieden nahm sie zur Kenntnis, dass das Kleid passte. Weil ihre Oberweite nach der letzten
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