Hautnah
sonst noch über Stephen Molloy wusste. War da nicht dieses Gerücht, er sei schwul? Auf Fotos sah man ihn oft mit irgendeiner Schauspielerin am Arm, aber er hatte nie eine feste Beziehung gehabt, was, so wurde gemunkelt, damit zu tun hatte, dass er in Wahrheit auf Männer stand. Vielleicht stimmte es ja auch, und er kam deshalb so gut mit James und Betty aus.
Plötzlich spürte sie eine Berührung an der Schulter. Sie fuhr herum, und Stephen Molloy war vergessen.
»Hi«, sagte Sean. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«
Sie sah zu ihm auf und schob sich ein abstehendes Haar hinters Ohr. Sie traute sich nicht, Sean in die Augen zu schauen, also sah sie wieder nach unten und strich ihr Kleid glatt. Sie fragte sich, ob sie das richtige Outfit angezogen hatte. Das kurze geblümte Baumwollhängerchen war das einzige halbwegs schicke Kleidungsstück, in dem sie es bei der Affenhitze aushielt. Aber sie sah viel zu jung darin aus. Sie warf einen Blick zu den anderen Gästen auf dem Rasen, der mittlerweile von zwischen den Bäumen gespannten Lichterketten mit Tausenden von Glühbirnen erhellt wurde. Die Kleidungsstile der Leute waren ganz unterschiedlich. Einige Frauen trugen Vintage-Sommerkleider, andere lange, fließende Gewänder. Einige waren in Jeans und Tunika gekommen. Aber alle sahen sie so aus, als wüssten sie, was sie taten – ganz im Gegensatz zu Bella.
»Möchtest du noch was trinken?«, fragte Sean mit dem Mund ganz dicht an ihrem Ohr.
»Okay.«
Er führte sie die Verandastufen hinunter ins Getümmel.
»Was riecht denn hier so?«, fragte Bella, als ihr ein zitroniger Duft aus der Menge entgegenwehte.
»Citronella. Ohne das hält man es hier nicht aus. Es wehrt die Insekten ab. Möchtest du?« Sean reichte ihr ein kleines Fläschchen aus seiner hinteren Hosentasche. »Du musst es auf deine Pulspunkte tupfen.« Sie blieben stehen, und er sah zu, wie sie sich das Öl in die Kniekehlen, an die Innenseite der Handgelenke und in die kleine Kuhle an ihrem Hals tupfte. »Jetzt bist du unverwundbar. Komm, wir holen uns was zu trinken.«
Er führte sie zur anderen Seite der Feuergrube, wo ein großer runder Holztisch aufgebaut war, auf dem zwei alte Zinkwannen, gefüllt mit Eis, Bier- und Weißweinflaschen, standen.
»Ich nehme ein Bier«, sagte Bella.
Sean zog eine Flasche heraus, öffnete den Kronkorken und reichte sie ihr.
Sie suchten sich eine freie Patchworkdecke am Rande der Menge. Sean setzte sich so neben sie, dass ihre Oberarme sich berührten. Bella hatte die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und hoffte, dass das Citronella den leichten Schweißgeruch überdeckte, den sie an sich gerochen hatte. Sie hätte ihm so gern von Stephen Molloy erzählt, und das nicht nur, weil sie einen Knoten in der Zunge hatte und sie so wenigstens ein Gesprächsthema gehabt hätten. Aber das ging natürlich nicht.
»Ich war noch nie in England«, sagte Sean. »Wie ist es da so?«
»Eng. Voll.«
»Ich war überhaupt noch nie im Ausland, außer in Kanada«, fuhr er fort. »Wo wohnst du denn? In London?«
»Brighton. Am Meer. Von London aus gerade runter.«
»Zeig’s mir«, bat er und langte in seine Tasche. Er zog sein iPhone hervor und rückte noch näher an sie heran, damit sie das Display sehen konnte.
»Hast du hier Netz?«
»Nee. Hier gibt’s meilenweit keinen Empfang. Ich hab mich in James’ und Bettys WLAN eingeklinkt.«
»Da wohnen wir.« Sie zeigte ihm ihr Haus auf Google SatelliteView. Es lag mitten zwischen unzähligen Straßen voller Reihenhäuser, die sich in dünnen Linien vom Meer aus bis zur weiten, offenen Fläche der Downs hinaufzogen. Sean strich mit der Fingerspitze über den Bildschirm, um näher heranzuzoomen.
»Ihr wohnt ja direkt am Meer«, stellte er fest. Sie waren sich jetzt so nahe, dass ihre Wangen sich praktisch berührten. Bella spürte das Kitzeln seiner langen Wimpern, und tief in ihrem Innern war ein Schwindelgefühl, als würde sich dort ein Loch auftun, in das sie sich hineinfallen ließ. Trotzdem versuchte sie weiterzureden, als wäre es die normalste Sache von der Welt.
»Wenn es noch dasselbe Bild ist, dann kannst du hinten im Garten sogar unsere Wäsche auf der Leine sehen.«
»Lustig.« Sean legte den Arm um sie, damit sie noch näher ans Display herankam. Bella hob den Kopf. Es standen Leute direkt in ihrer Nähe, aber niemand schaute zu ihnen hin.
»Und das ist unser Auto, da auf der Straße.« Sie lehnte sich nach hinten und trank einen Schluck
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