Havanna für zwei
war, legte die Dunkelheit einen Schleier über das Geschehen im Musikzimmer, das nur über ein kleines Fenster verfügte und schallgedämmt war. Am großen Musikinstrumentenschrank, wo sie und Jack standen, hätte sie von draußen unmöglich jemand sehen können. Außerdem waren alle Teilnehmer und Zuschauer der Veranstaltung noch in der Aula, eine Treppe und Hunderte Meter entfernt.
»Danke, Jack«, hatte sie gesagt, als er ihr den Verstärker und das Mikrofon reichte, damit sie beides in der Ecke des Schrankes verstauen konnte. Sie erinnerte sich noch an den Moment, als ihre Blicke sich trafen, und an das Knistern zwischen ihnen.
Langsam kam er näher, zuversichtlich, dass sie dasselbe empfand wie er.
Die Spannung zwischen ihnen hatte sich in den letzten Wochen des Schuljahres immer mehr gesteigert, und jetzt, als es Mai geworden war und er bald die Schule verließ, wusste er, dass die dunkle Ecke des Musikzimmers der richtige Ort war, um sich ihr zu nähern.
Der erste Kuss war in seiner Unschuld sehr ungeschickt und zart. Erst als sie seinen Geruch einatmete, machte ihr Verlangen nach ihm sie ganz verrückt. Er schob sich näher an sie heran, und sie öffnete hungrig die Lippen. Er schmeckte so frisch, so neu. Ihr Verlobter Donal war mit achtundzwanzig zwar kein Methusalem, doch der Altersunterschied zwischen ihm und Jack betrug zehn Jahre.
Louise versuchte, nicht an Donal zu denken, während sie zuließ, dass Jack sie fester packte und auf den Fußboden zog. Ihre Rollen hatten sich vertauscht. Er war jetzt derjenige, der die Kontrolle übernahm, und sie ließ sich auf einen Weg führen, der sie jeden Moment ins Unglück stürzen konnte, falls jemand hereinplatzte. Sie musste jeden Funken Selbstbeherrschung aufbringen, damit der Kuss an jenem Abend nicht zu mehr wurde.
Wochen zuvor hatte sie auf dem Bord gesessen, das an den Wänden des Klassenzimmers entlanglief, die Füße auf dem Klavierhocker und neben ihr ein Stapel Aufsätze über Debussy und andere impressionistische Musiker. Es hatte noch nicht zum Unterricht geklingelt.
»Du kommst zu früh!«, hatte sie im Flirtton gesagt, als ihr bester Schüler den Raum betrat.
Jack war langsam auf sie zugekommen und einen Tick zu nahe vor ihr stehen geblieben – nur Zentimeter von der Lücke zwischen ihren Knien entfernt.
»Das ist meine Lieblingsstunde. Ich konnte es nicht erwarten.«
In dem Moment wussten beide, dass er nicht von ihrer exzellenten pädagogischen Betreuung sprach.
Die Erinnerung daran ließ Louise erbeben, und sie nippte noch einmal an ihrem Kaffee. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, aber sie konnte etwas tun, um die Leidenschaft zurück in ihr Leben zu bringen. Ein paar Veränderungen ließen sich vornehmen. Doch zunächst stellte sie ihren Becher auf den Untersetzer auf dem Klavier und setzte sich auf den wenig benutzten Hocker. Wie ein Vampir, der einen Sargdeckel aufklappt, hob sie den Deckel, der die Tasten aus Ebenholz und Elfenbein barg. Es war eine Weile her, seit sie Debussy gespielt hatte, und sie fragte sich, ob sie es noch konnte. Als »Clair de Lune« sanft von den Tasten erklang, spürte sie förmlich, wie sich ihre Stimmung hob. Das war etwas, das nur ihr gehörte und rein gar nichts mit Jack, Donal oder sonst wem zu tun hatte. Vielleicht half ihr Klavierspielen dabei, die Antwort darauf zu finden, was ihr eigentlich fehlte und warum sich ihre Seele so leer anfühlte.
»Und was hast du heute gemacht?«, fragte Donal Louise.
Er hielt abends gern Hof, wenn er ausnahmsweise einmal nicht direkt zum Yachtclub fuhr, und Louise war von diesem konservativen Aspekt seiner Persönlichkeit genervt. Sie warf ihrem Ehemann, der, immer noch mit Schlips und Kragen, am Kopfende des Küchentisches saß, einen Blick zu. Sein braunes Haar wurde langsam schütter, aber seine Haut sah für einen passionierten Hobbysegler noch bemerkenswert jugendlich aus.
»Ich hab die Wäsche gemacht, die Klamotten von allen getrocknet und gebügelt und zurück in die Schränke geräumt«, gab Louise bissig zurück.
Donal hatte nicht vorwurfsvoll klingen wollen. Er wusste nur nicht mehr, wie er mit ihr über wichtige Dinge sprechen sollte.
Matt und Finn verschlangen ihre Fish & Chips und konnten es kaum erwarten, wieder nach draußen zu kommen, um Fußball zu spielen.
»Hast du deine Mum schon angerufen?«, fragte Louise ihren Neffen.
»Ich hab’s nach der Schule auf dem Weg hierher versucht, aber sie war nicht da. Sophie ist rangegangen. Mum
Weitere Kostenlose Bücher