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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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einer Dreiviertelstunde angekündigt.
    Er ging wieder auf den Flur und füllte am Wasserspender zwei Becher. Vielleicht würde ja Kerstin jetzt etwas trinken wollen. Als er den zweiten Becher aus dem Einschub nahm, öffnete die Automatik mit einem lauten Summen die Stationstür. Manzetti drehte den Kopf nach links und machte zwei Männer aus, die Ärzte sein konnten. Einer trug einen weißen Kittel mit weißer Hose, der andere war in Grün gekleidet.
    »Herr Doktor«, rief er etwas zu laut und machte einen Riesensatz auf den Mann in Grün zu. »Können Sie schon etwas sagen?«
    Der junge Arzt sah Hilfe suchend zu seinem Kollegen.
    »Komm hier rein«, hörte Manzetti eine ihm bekannte Stimme sagen, dann packte der weiße Arzt seinen Ellenbogen und zog ihn ins Schwesternzimmer.
    Als Manzetti wieder zur Besinnung kam, drehte er sich um und ließ vor Schreck die beiden Becher fallen. »Du?«
    »Ja, ich«, sagte Bremer und wandte sich an seinen jüngeren Kollegen, der gerade dabei war, sich aus der grünen OP-Kleidung zu schälen. »Das ist der Vater der kleinen Lara, Herr Andrea Manzetti. Und das ist Dr. Schirmer, er hat Lara operiert.«
    »Aber was …«
    »Manzetti«, fiel ihm Bremer ins Wort. »Auch wenn es dir schwerfällt, setz dich bitte da auf den Stuhl und hör uns zu. Und kommentiere nicht gleich den ersten unserer Sätze.«
    Manzetti wollte sich nicht setzen. Er blieb stehen, denn seine Muskeln waren derart angespannt, dass sie vermutlich brechen würden, sollte er auch nur den Versuch unternehmen, sie zu bewegen.
    »Herr Manzetti«, begann Dr. Schirmer, als er den letzten Knopf des nun weißen Kittels schloss. » Ihre Tochter ist außer Lebensgefahr. «
    In Manzetti explodierte ein Sylvesterfeuerwerk. Das war der Satz, auf den er seit Stunden gewartet hatte. Ihre Tochter ist außer Lebensgefahr. Wie lyrisch doch so profane Sätze klingen konnten.
    »Allerdings muss sie noch ein weiteres Mal operiert werden«, sprach Schirmer weiter, als er merkte, dass Manzettis Augen aus der Ferne zurückkehrten. »Wir konnten nur die Notversorgung vornehmen, aber den unteren rechten Lungenlappen nicht wieder an der Atmung beteiligen. Er ist durch die Stichverletzung sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.«
    »Dann kann sie immer noch ersticken?«, fragte Manzetti, der sich plötzlich einer trügerischen Sicherheit ausgesetzt sah.
    »Nein«, mischte sich nun Bremer ein. »Lara geht es gut. Der Stich kam von unten und ging durch den rechten, quer liegenden Lungenlappen. Ansonsten arbeiten die Lungenflügel einwandfrei und geben ihr Luft für drei Leben. Deine Tochter ist stark, sie wird es schaffen.«
    »Aber …«
    »Hör doch mal mit deinem ewigen Aber auf. Wenn sie sich erholt hat, was in spätestens einer Woche der Fall sein dürfte, werdet ihr sie zu Hause noch ein bisschen pflegen, und dann suchen wir eine geeignete Lungenklinik, die auch den unteren Lappen wieder anschließt. Lara kann dann immer noch Olympiasiegerin werden.«
    Am liebsten hätte Manzetti Bremer und seinen Kollegen umarmt, so froh war er. Aber seine Beine versagten den Dienst. Er lächelte ihnen dankbar zu und dann ließ er die Freudentränen einfach laufen.
    »Kerstin …«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, »ihr müsst ihr das auch mitteilen.«
    »Das macht gerade Frau Dr. Marlow, die Stationsärztin«, versicherte Dr. Schirmer und reichte Manzetti die Hand. »Alles Gute für Sie und Ihre Tochter, Herr Manzetti. Wenn Sie mich brauchen, dann finden Sie mich in irgendeinem der Behandlungszimmer.«
    Dann schob er mit einem kurzen Ruck die Tür auf und verschwand in dem gleichmäßigen Rauschen der Beatmungsgeräte.
    »Nun zu uns, mein Guter«, sagte Bremer und schob die Tür wieder zu. »Ich bin dienstlich hier, wie du dir sicherlich denken kannst.«
    Manzetti nickte. »Lebendbegutachtung?«
    »Ja, und anders möchte ich keines deiner Kinder je in den Fingern haben«, betonte Bremer und schwang sich neben Manzetti auf den Schreibtisch.
    Manzetti legte eine Hand auf Bremers Oberschenkel und strich zwei Mal darüber. »Aber …«
    Bremers Zeigefinger schoss drohend nach oben. »Kein Aber . Sie hatte verdammtes Glück und daran sollten wir nicht rühren. Nimm es so, wie es ist, und verschwende deine Kraft nicht mit unnützen Gedanken. Deine drei Frauen brauchen dich jetzt mehr als sonst. Und das ungeteilt … Aber darüber wollte ich mit dir gar nicht reden. Sag mir lieber, was passiert ist.«
    Manzetti holte tief Luft und

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