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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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lustlos zurück in den Stuhl fallen.
    Die Spielzeit der 5. Symphonie von Beethoven betrug also keine drei Stunden. Die waren längst um. Warum klingelte das Telefon nicht?
    Um sich zu beruhigen, nahm er einen Stapel Papier, die Anzeigen des vorherigen Tages, und las sich kurz in die jeweiligen Texte ein, bevor er verfügte, welche Abteilung welchen Fall bearbeiten sollte. Nach weiteren fünf Minuten war er endlich ganz in diese Arbeit abgetaucht.
    Intensiv beschäftigte er sich mit der Anzeige gegen einen jungen Mann, der auffällig geworden war, weil er mit der Schuhspitze Hakenkreuze in den Sand gezeichnet hatte und dabei von Passanten beobachtet worden war. Solche Leute gab es leider überall, nicht nur in Brandenburg. Das Protokoll dieses Vorfalls füllte mehrere Seiten, inklusive einer ausführlichen Personenbeschreibung. Der junge Mann hatte sich Bilder tätowieren lassen, die nun bis in alle Ewigkeit bläuliche Zeugen seiner Gesinnung sein würden.
    „All Cops Are Bastards“, stand mit riesigen Lettern zwischen seinen Schulterblättern, was eigentlich schon schrecklich genug war. Aber die Unterarme waren noch schlimmer. Viel schlimmer, wie Manzetti meinte.
    88. In breiter, unübersehbarer Kontur, und jede Zahl zehn Zentimeter hoch. 88, das war nicht einfach eine Zahl, die hatte ja eine Bedeutung, eine schreckliche Bedeutung. Wie viel Fanatismus, gepaart mit unendlichem Hass auf alle anderen Menschen musste man in sich tragen, um sich dieses Symbol in die Haut meißeln zu lassen? Es musste ein Hass sein, der immerfort lodert und jederzeit ausbrechen kann, so wie es der von Idiotie getragene Geist dieser Zahlenkombination verlangte.
    Mitten in seine Gedanken klingelte endlich das Telefon.
    „Manzetti“, meldete er sich erwartungsvoll.
    „Haben Sie Zeit?“, fragte eine Männerstimme, mit der Manzetti jetzt nicht gerechnet hatte.
    „Eigentlich nicht“, antwortete er deshalb. „Aber was ist denn passiert?“
    „Mario hat was aufgeschrieben“, sagte Bremer und wischte mit dieser Erfolgsmeldung Manzettis Lethargie augenblicklich vom Tisch.
    „Was?“ Er hielt kurz den Atem an, vergaß sogar die Frage, was Bremer mit Mario zu tun hatte.
    „Wir würden gerne jetzt zu Ihnen kommen.“
    Das „Na klar“ hörte Bremer schon nicht mehr, denn bevor es die Kehle des Hauptkommissars verlassen hatte, erklang bereits der monotone Dauerton in Manzettis Ohr.
    Keine zehn Minuten später saßen Frau Manter, Bremer und Sebastian Hendel an Manzettis Beratungstisch, auf den Sonja Tassen und Kekse verteilt hatte.
    „Herzlichen Glückwunsch“, gratulierte die Ärztin Manzetti. „Ich hätte nicht gedacht, dass es funktionieren wird, aber Mario hat sich mitgeteilt.“
    „Und? Was hat er gesagt?“ Manzetti hatte seine Augen vor Ungeduld und Neugierde weit aufgerissen.
    „Nichts“, mischte sich Bremer ein. „Gesagt hat er nichts, und ob er etwas zu unserem Fall geäußert hat, steht noch in den Sternen.“
    Manzetti richtete seinen Blick wieder auf Frau Manter, sah aber gerade noch, dass der Intendant mit den Schultern zuckte.
    „Was soll das denn nun bedeuten?“, fragte Sonja, die enttäuscht den Kugelschreiber vor sich auf den Block legte.
    „Er öffnet sich. Mehr nicht“, stellte Frau Manter klar. Manzetti sank ein wenig in seinem Stuhl zusammen.
    Er musste überlegen. Mario war seine große Hoffnung. Mario in Verbindung mit dem Orchester und „FC“. Ganz hatte ihn der Mut noch nicht verlassen, doch begann er, langsam zu entschwinden. Er brauchte im Moment nichts dringender, als die Aussage von Mario Schmidt. „Wann wird er endlich reden?“ Er drehte einen kleinen Löffel zwischen Daumen und Zeigefinger.
    „Das weiß ich nicht.“ Die Ärztin nahm Manzetti den Löffel weg, legte ihn neben ihre Tasse. „Wir müssen Geduld haben. Aber es funktioniert. Er öffnet sich dem Orchester und er scheint wirklich unendlich viel Vertrauen zum Dirigenten zu haben.“
    Manzetti angelte sich Sonjas Kugelschreiber und drehte nun den zwischen den Fingern. Dann erinnerte er sich an den Artikel in der Fachzeitschrift. „Er muss ja gar nicht reden. FC bringt ihn zum Schreiben, oder? Hat er nichts aufgeschrieben?“
    Bremer schüttelte den Kopf, und Frau Manter nahm Manzetti auch den Kugelschreiber weg, den sie wieder auf den Schreibblock vor Sonja legte. „Nichts, womit wir etwas anfangen könnten.“ Sie blickte in die enttäuschten Augen von Manzetti. „Ich glaube aber, dass er uns irgendwann etwas mitteilt, das für Sie

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