Havelwasser (German Edition)
an. Als er den Saum abtastete, fiel sein Blick auf einen der beiden Schuhe. In das Innenleder war ein Schriftzug eingebrannt, und daneben prangte ein Wappen. „English Style“, stand da in geschwungener Schrift. Diese Schuhe waren verdammt teuer, und warum sollte ein Mann, der C&A-Hemden trug, bei Schuhen eine solche Ausnahme machen?
Manzetti nahm sich einen Schuh und drehte ihn in den Händen. Er war nagelneu. Nicht der kleinste Kratzer befand sich auf der Ledersohle. Das war schon merkwürdig, denn es bedeutete schlicht und einfach, dass mit diesen Schuhen noch kein Meter gelaufen worden war.
„Haben Sie mal ein Messer?“, fragte er den Kollegen hinter dem Tresen.
Der bückte sich und legte ein rotes Taschenmesser vor sich hin. Manzetti nahm es und kratzte an der Verbindungsstelle zwischen Sohle und Oberleder herum. Auch hier fand er nichts. Dann stach er mit dem Messer zwischen Sohle und Absatz. Wieder ohne Ergebnis. Entmutigt gab er das Taschenmesser zurück und wollte den Schuh am Absatz zurück in den Karton legen. Plötzlich verharrte er in seiner Bewegung und nahm den Schuh wieder hoch. War da nicht etwas? Hatte er nicht soeben eine winzige Bewegung gespürt?
Er hielt den Schuh am Oberleder fest und wackelte am Absatz. Erst langsam und dann immer stärker, bis er ein kurzes Klicken hörte und sich die unterste Schicht des Absatzes zur Seite bewegte. Ein Grinsen erschien auf Manzettis Gesicht, als er mit Daumen und Zeigefinger ein Tütchen mit einer weißen Substanz aus einem kleinen Fach im Absatz nahm. Sein Gefühl sagte ihm: Kokain.
12
Manzetti ging am Gebäude der Stadtverwaltung vorbei und weiter durch die Klosterstraße, bis er das Wasser der Havel sah. Er lief nach rechts und hielt auf den großen Strauch zu, hinter dem er eine Bank wusste. Wie erwartet saßen zwei Männer darauf, neben sich Plastiktüten und eine ausgelegte Angel.
„Na, meine Herren, schon gefrühstückt?“, fragte er und guckte in die erschrockenen Gesichter.
„Herr Kommissar, wat für’ne Ehre. Aber Sie dürfen uns nich so erschrecken, wa. Unser Herz tut die ganze Aufregung nich mehr so einfach wegstecken.“ Der Mann mit dem rauschenden Bart hob ihm seine Bierflasche entgegen und rief Manzetti ein kurzes Prost zu, bevor er die Flasche an seine Lippen setzte.
„Verträgt euer Magen auch feste Nahrung?“ Er reichte den beiden eine Tüte, in der vier belegte Brötchen lagen, die er unterwegs bei einem Bäcker gekauft hatte.
Der Bärtige schaute in die Tüte und förderte ein Brötchen hervor, betrachtete es von allen Seiten und sagte zu Manzetti: „Dit is Bestechung, Herr Kommissar. Dit is strafbar, wa.“ Dann biss er mit dem noch verbliebenen Schneidezahn in die knackige Kruste. Sein Kumpel ließ es sich ebenfalls schmecken.
„Bestechung ist es, wenn ihr mir die Brötchen schenken und Forderungen stellen würdet.“
Der hagere Mann winkte mit der linken Hand ab. „Ne, Herr Kommissar. Wir haben och Gesetze. Die sind zwar anders als die von Sie, aber in unsere Welt hält man sich manchmal sogar daran. Und ein Gesetz heißt, dass wir nischt von die Bullen nehmen.“ Und nachdem er sich kurz geräuspert hatte: „Ich meine, von so feine Herren, wie Sie einer sind.“ Trotz der großen Grundsätze kauten beide bereits am zweiten Brötchen, nachdem sie das erste quasi mit einem Bissen hinuntergeschlungen hatten.
„Bei Sie, Herr Kommissar“, sagte der Bärtige, „machen wir aber eine Ausnahme. Wat können wir denn für Sie tun?“ Er rutschte zur Seite und bot Manzetti einen Platz an.
„Beißen sie?“, fragte er und nickte zur Angel.
„Nee. Aber müssen sie auch nicht.“
Manzetti nickte wie zur Bestätigung und beendete damit das Thema. „Woher hatte euer Kumpel die Drogen?“, wollte er wissen, als er sich setzte.
„Wat für Drogen?“ Der Bärtige mimte die Unschuld vom Lande, wenn auch alles andere als überzeugend.
Blitzschnell griff Manzetti zu. Mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger krallte er in das Knie des neben ihm sitzenden Mannes und drückte mit aller Kraft zu.
„Aua, Herr Kommissar! Aua, Aua“, jammerte der Bärtige und schnellte mit dem Oberkörper nach vorne. Er versuchte, mit den Händen, deren Innenflächen die Samtheit eines Reibeisens hatten, den festen Griff des Polizisten zu lösen. Der Mann litt offensichtlich Höllenqualen. Manzetti aber drückte noch ein wenig stärker zu und spürte, wie sich der Mann ähnlich einer Riesenschlange um seinen Unterarm wickelte. Dann ließ er
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